logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Lisa Fittko: "Meine Biographie liegt in der Weltgeschichte."

Lisa Fittko (1909-2005) erzählt aus ihrem Leben.
Ein dreiteiliges Hörbuch von Hanne und Hubert Eckart
3 CDs mit Beiheft
Quedlingburg: ABACUS Medien, 2006

Lisa Fittko ist die Frau, die Walter Benjamin über die Pyrenäen führte; es war ihre erste derartige Tour, noch viele andere Flüchtlinge sollten sie und ihr Mann den rund fünfstündigen Weg, als Weinbergarbeiter getarnt, hinüber nach Port Bou bringen. "Organisieren" hat sie das genannt: Fluchtwege, Papiere, Nahrung, Überleben. Hauptsächlich für andere, unter anderem auch diesen blassen und weltfremden Intellektuellen, der eine Aktentasche mit sich schleppte, deren Inhalt ihm wichtiger war als sein Leben. Die damals einunddreißigjährige jüdische Kommunistin Lisa Fittko trug dem unbekannten Gelehrten die Tasche und brachte damit ein Manuskript der "Passagen" in Sicherheit. Der Legende von der Herzkrankheit oder Herzschwäche Benjamins widerspricht sie dabei vehement: Benjamin habe sich bloß für die ungewohnte Anstrengung einen Plan erstellt von Gehen mit regelmäßigen Pausen, um einer Erschöpfung vorzubeugen.

Dass er sie in dieser Situation mit "sehr verehrte Dame" siezte, ist nur eine der vielen Bizarrerien in Umständen, mit denen besonders die Künstler und Intellektuellen unter den Flüchtlingen nicht zurecht kamen: "Feuchtwangers Verhalten war eine Gefährdung für jeden, der ihm helfen wollte". Nicht nur physisch den Umständen nicht gewachsen, war es vor allem deren mangelnder Realitätssinn, der sie die Lage nicht richtig einschätzen ließ, meint Fittko, um aber selbst eindringlich zu Bedenken zu geben: Dass das, was mit Hitler kam, einfach nicht vorstellbar gewesen war.

Geboren als Elisabeth Ekstein in der heutigen Ukraine, wuchs Lisa Fittko in einem gebildeten freigeistigen Elternhaus auf, anfangs in Wien, wo ihr Vater bis 1922 eine kulturpolitische Zeitschrift herausgab, dann in Berlin, wo sie nach Hitlers Machtergreifung in den Untergrund ging und bis zu ihrer Verhaftung Flugblätter tippte und verbreitete. Danach begann der langwierige Fluchtweg über die Tschechoslowakei in die Schweiz, unterbrochen von illegalen Aktivitäten in Holland, bis zur Verhaftung in Paris nach der Besetzung, Internierung im Lager Gurs, dem Entkommen und der Schleusung von Flüchtlingen über die Pyrenäen, bis zur eigenen Ausreise nach Kuba.

Die Aufnahmen entstanden im Jahr 2001 in Chicago in der Wohnung Lisa Fittkos im Rahmen eines geplanten Filmportraits der Bühnenbildnerin und des Regisseurs Hanne und Hubert Eckart, die aus dem vielstündigen Film- und Tonmaterial schließlich die wichtigsten Ausschnitte kompilierten. Verknüpft sind die Tracks mit kurzen Einspielungen von thematisch und historisch zugehörigen Liedern, Musik-, Wochenschau- und Filmcuts (was leider ein wenig bieder gerät, wenn ein paar Sekunden Regen- oder Wellenrauschen einblendet wird, sobald Fittko vom Regen im Lager oder vom Flüchtlingsschiff nach Kuba erzählt).

Zweiundneunzigjährig, mit großer Ruhe und Klarheit, mit Verständnis, ohne Verurteilung oder Anklage, wohl aber mit Kritik und Korrektur von falschen Legenden, erzählt Lisa Fittko von dem für sie und ihren Mann Selbstverständlichen: zu "organisieren", also zu helfen; und zwar ungeachtet der Rasse oder Religion. Neben aller durch die Lebensumstände erworbenen Sprachkompetenz (u.a. Holländisch, Schweizerdeutsch, Französisch, Spanisch, Englisch) spricht Fittko ein völlig akzentfreies und blütenreines Deutsch mit dem schönen stimmhaften S des gepflegten und gebildeten Berliner Bürgertums. Sie betont, dass sie sich immer als Deutsche gefühlt hatte, auch als aus geplanten drei Wochen in den USA (die für sie und ihren Mann nie wirklich Einwanderungsziel gewesen waren) schließlich ein Daseinsort wurde. Politisch aktiv wurde sie allerdings erst wieder, als der Vietnamkrieg kam und Lisa Fittko, die als Angestellte an der Chicagoer Universität arbeitete, eine führende Figur in der Friedensbewegung wurde.

Das Erstaunliche an diesem Lebensbericht ist: Fittko erzählt zwar vom Terror und den Torturen, vom Leben mit der Angst und Ungewissheit, aber dieses Negative ist letztlich bedeutungslos gegenüber einem Phänomen: dem Wunder der Hilfe. Die Fittkos überlebten, weil sie in Situationen extremer Verzweiflung immer wieder auf Menschen trafen, die bereit waren, zu riskieren um zu retten: einzelne Beamte, die für sie überlegten, verfügten, abstempelten oder provisorische Papiere ausstellten, oder wenn auf Dorfplätzen in Südfrankreich Tische mit Essen und Trinken für die durchkommenden Flüchtlinge aufgestellt waren. Trotz all ihren Einsatzes betont Fittko, nur eine von vielen gewesen zu sein; im Banyuls-sur-Mer wurde zwar für sie und ihren Mann ein Denkmal errichtet, aber sie weist alles Sensationelle zurück: "Dass ist das einzige, was ich herüberschicken möchte: Dass wir es ohne die stillschweigende Hilfe der Banyulser nicht geschafft hätten." Als entscheidend erweist sich in Fittkos Bericht immer wieder, wie wichtig dabei die Fähigkeit zu Kommunikation war, sowohl was den Kontakt mit anderen Flüchtlingen betraf, wie jenen mit Behörden, vor allem aber in der menschlichen und sprachlichen Sozietät mit der lokalen Bevölkerung.

Unglaublich erscheint Fittkos Beharrlichkeit, angesichts scheinbar auswegloser Situationen nie aufzugeben, nicht passiv hinter Stacheldrahtzäunen zu warten und zu hoffen, sondern gegen alle Wahrscheinlichkeit weiter zu probieren, wobei das Überleben immer auch hieß, alles zu versuchen, um "Europa und die Welt von der Barbarei zu befreien", und erst hier schwingt am Ende doch ein resignativer Unterton mit gegenüber der Geschichte. Diese Aufnahmen stimulieren jedenfalls, das einzige derzeit erhältliche ihrer Bücher ("Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41", Hanser/dtv) zur Hand zu nehmen und im Detail nochmals nachzulesen, wovon diese CD unprätentiös Bericht gibt als "eine Verbeugung vor allen jenen, über deren Einsatz für eine bessere Welt niemals berichtet wurde."

 

Martin Kubaczek
22. Mai 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 21 – MARK Z. DANIELEWSKI

Dem amerikanischen Autor Mark Z. Danielewski gelang es mit seinem Roman-Debut Das...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...