Blatt 7: Kontakte pflegen
Am Nachmittag stand Kontakte pflegen häufig auf dem Programm. Kontakte pflegen hieß, dass Vilma und ich zu einer bestimmten Adresse gingen, klingelten, begrüßt wurden, uns niedersetzten, etwas angeboten bekamen. Nach ein oder zwei Stunden hatten alle voneinander genug. Wir verabschiedeten uns wieder und gingen nach Hause. Am Heimweg machte Vilma zu den besuchten Personen Kommentare und zwar immer die gleichen. Ich erinnere mich an einige der gepflegten Kontakte. Deutlicher jedoch als ich mich an die Menschen erinnere, höre ich noch Vilmas Kommentare.
(S. 20)
Blatt 16: Im Labor
Vermutlich als Folge meiner Bettelei besuchten wir auch Irma im Labor. Schauen gehen, wo die Mutti arbeitet, wollte ich. Sie war in der Ampullierung beschäftigt. Die Arbeitsräume waren Baracken. In den Räumen war es sehr laut und im Sommer unfassbar heiß. Ich sah große, radartige Behälter, gefüllt mit vielen winzigen Flaschen. Diese Behälter wurden in Druckkochtöpfe eingeschlichtet und unter Dampf gesetzt. Wurden die Deckel geöffnet, entwichen zischend heiße Dampfwolken. Ich sah viele Frauen an Fließbändern, alle mit weißen Mänteln und weißen Häubchen. Ich sah den Apotheker, Irmas Chef, ebenfalls in einem weißen Mantel. Ich sah Schläuche auf einem immer nassen Boden. In der Luft hing ein stechender Geruch. Ich sah Irma voll Stolz auf ihre Welt aus Tempo und Gefahr hin-und her laufen. Wir durften nur kurz bleiben. Von Vilma weder am Hin- noch am Rückweg ein Kommentar.
(S. 30)
© 2010 Sonderzahl Verlag, Wien.
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