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Leseprobe: Koytek & Stein - Der Posamentenhändler

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Achtundsiebzig Stufen sind achtundsiebzig Stufen – und selbst, wenn man die vier gleich nach der Eingangstür abzog, blieben noch vierundsiebzig.
Fröstelnd trat er vor die Tür auf den Gang, zog seine Jacke enger um die Schultern und wartete. Von draußen schlich die Novemberkälte wie ein unsichtbarer Nebel das Stiegenhaus herauf und kroch unbarmherzig in seine Knochen. Seit über einer Woche verbarg sich die Sonne schon hinter einem undurchdringlichen Wolkenschleier und drückte auf seine Stimmung. Gespannt horchte er auf den Klang der Schritte, die sich näherten und nun am kleinen ehemaligen Portierskämmerchen vorbei mussten, das an manchen Tagen einen ziemlich strengen Geruch bis in die hintersten Winkel des Stiegenhauses verströmte. Außerdem erlosch dort das Licht meist, bevor man die Treppen erreicht hatte. Dann blieb einem nichts anderes übrig, als sich mühsam bis zum nächsten Lichtschalter vorzutasten.
Im hallenden Stiegenhaus konnte man die Geräusche, die die Schuhe auf den Marmortreppen verursachten, gut hören. Leder rieb auf eingetretenem Straßensplitt. Absätze – sieben oder acht Zentimeter, schloss er. Leise zählte er die Schritte mit, die sich ihm Stufe für Stufe näherten. Ein Lufthauch wehte den Oberton einer eigenwilligen Duftnote zu ihm hoch, die das übliche Stiegenhausaroma überlagerte.
Seit Jahren schon schwelte im Haus ein Konflikt der Parteien über den Einbau eines Aufzugs, doch bisher hatte sich die Kontra-Fraktion bei jedem neuen Anlauf gegenüber der Pro-Gruppe knapp durchgesetzt, sogar von Energiesparen und Klimaschutz war die Rede gewesen, sodass sich seine Kundschaft nach wie vor die drei Stockwerke zu Fuß hinaufquälen musste. Ihm war dies allerdings nicht gänzlich unrecht. So konnte er leichter seinem heimlichen Vergnügen nachgehen.
Erwartungsvoll strich sein Zeigefinger die Fugen zwischen den abgenutzten Fliesen entlang und hielt bei einer ausgeschlagenen Ecke inne. Langsam löste er ein winziges Stückchen ab, legte es vorsichtig auf seine geöffnete Handfläche und schnippte es lautlos ins Stiegenhaus.
Dreiundzwanzig, vierundzwanzig ...,
zählte er dann stumm mit. Der Griff nach dem aus Eiche gedrechselten Holzgeländer, eine kurze Verschnaufpause – der erste Stock war geschafft. Er schloss die Augen. Ungefähr dreißig, lange Haare, taillierter Mantel, fantasierte er. Nach den zwei kleinen Pausen zu urteilen eher unsportlich, Armreifen und Ringe an den Händen – zumindest glaubte er, ein schepperndes Geräusch beim Griff nach dem Geländer gehört zu haben. Eventuell ein paar Kilo zu viel.
Fünfunddreißig, sechsunddreißig ...

Rasch zog er sich wieder in seine Räumlichkeiten zurück und ließ die Tür leise ins Schloss gleiten. Als die Türklingel schellte, verharrte er einen Augenblick lang reglos, lauschte dem schnellen Atem auf der anderen Seite und öffnete erst dann. Höflich wich er aus und machte mit der Hand eine einladende Bewegung.
Bei einigen wenigen Details war er tatsächlich richtig gelegen, im Großen und Ganzen jedoch überraschte ihn die äußere Erscheinung der eintretenden Frau: Absätze, übergroße Armreifen, protzige goldene Ringe an den Fingern - das waren die Treffer. Brünette, mit einer Nuance ins Rot gehende auftoupierte Haare, frisch vom Friseur, rosa-grau gemustertes altmodisches Kostüm, die Handtasche perfekt darauf abgestimmt - das hatte er nicht erwartet. Die aufgebauschte Frisur erinnerte ihn ein wenig an Bärenfellmützen, wie sie britische Dudelsackpfeifer bei ihren Aufmärschen trugen. Das war zudem beherrscht von einer riesigen, dunkel getönten Brille mit nicht zu knappem Goldrand, die die Gesichtszüge in den Schatten stellte.
"Guten Tag!", brachte die Frau nach einer kleinen Atempause leicht schnaufend hervor. "Pfeifer …, Sophie Pfeifer - der Aufzug … wurde übrigens schon erfunden …", fügte sie mit leicht spöttischem Tonfall hinzu und streckte ihm gleichzeitig ihre makellos gepflegte Hand hin. Dabei drohte ihn der Duft des aufdringlichen Parfums wie eine Dampfwalze zu überrollen. Unauffällig versuchte er der Geruchsattacke Richtung Büro auszuweichen und entgegnete: “Conrad Orsini, womit kann ich Ihnen behilflich sein?”
(S. 9ff)

© 2010 Leykam Verlag, Graz.



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