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Leseprobe: August Staudenmayer - Der Türspion

Riss

Sein Film ist fertig.
Er hat ihn nie gemacht.
Er ist aus dem Geschehen, innerhalb und außerhalb des Films, ausgestiegen, noch bevor das erste Material und Gerät angeschafft worden war. Er hat sich nicht entscheiden können, ob es ein Außerhalb des Films geben sollte. Er machte aus einem Plus ein Minus, aus Schwarz Weiß, aus Schmerz Genuss, aus der Liebe die Hölle, aus Ich Du, er drehte alle Dinge um. Er hatte vor, alles zu filmen, es sollte kein Außerhalb mehr geben.
Er stieg nie ein.

Er sagt, es sei alles anders gewesen in dem Augenblick, als er zeigen wollte, wie es war. Er befand, nicht nur der Einsatz von Gerät und Material sei Verschwendung, sondern bereits der Gednake an den Film. Völlig unnütze Verschwendung.

Dieser Inhalt, zu dem es also nie gekommen ist, verlangte eine spezielle Form, gewissermaßen eine Nicht-Form, eine Un-Form. (Die Form verlangt eine Nicht-Form, um sie wahrnehmen, um sie denken zu können.) Da alles immer ganz anders war, hätte auch die Form immer ganz anders sein müssen als die, die er für ein bestimmtes Geschehen, das es so nicht gab, vorgesehen hatte. Eine mobile Form, eine unbefestigte Form, eine lose Form, eine vom Inhalt absolut getrennte Form hätte es laut Meiwald sein müssen. Die Form hätte nie mit dem Inhalt in Berührung kommen dürfen. Er, Meiwald, hätte nie mit dem Film in Berührung kommen dürfen.

Der Film ist fertig.
Bleibt nur die eine Frage: Wer hat ihn gemacht?
Meiwald nicht. So viel steht fest.

Figurenlosigkeitstheater.
Die Bühne ist leer.
Meiwald sieht sie sich wieder und wieder an. Wie sein Leben, von dem er auch glaubt, dass sich keine einzige Spur einer Abnutzung auf ihm befindet. Seine Familie hat auf der Bühne tiefe Spuren hinterlassen. Meiwald streicht mit seiner Hand darüber wie über eine Puppenbühne. Er fasst den Entschluss, seine Familie auf der Bühne aufzubauen. Tut es. In ihrem Haus ist er so etwas wie ein Stammgast, der nie kommt, seinen Platz aber auch nicht hergeben will. In ihrem Haus ist ein Platz für ihn reserviert – auf immer und ewig. Er blickt auf den freien Platz, der seinen Tod überdauern wird. Der Platz ist auch auf dem Film zu sehen. Leer natürlich. Alles Material für kommende Tage. Meiwald hat so viel leeres Material gesammelt. Jetzt bräuchte er es nur noch zu befüllen.

Er leckt über seine Zähne. Das Wort "Zahnpastabestie" blitzt in ihm auf. Sofort fällt ihm der Anfang einer neuen Geschichte ein: Winzige übernatürliche Wesen befallen die Zähne der Reichen. So sehr sie auch auf ihre Zähne achten, so viel sie sie auch putzen, die kleinen übernatürlichen Wesen, übrigens so genannte proletarische Parolenteufelchen, die sich in die Zahnpastatuben aller Welt eingeschlichen haben und die Münder der Reichen dieser Welt aufspüren, fallen beim Putzen in ihre Münder ein und zerstören ihre Zähne. Bis alle Reichen nur noch schwarze Stummel in ihren Mündern haben. Die Folge: Es gibt ihr blendend weißes Lachen in den Revueblättern und in den Fernsehseitenblicken nicht mehr. Wenn sie lachen müssen, lachen sie – stummelig schwarz – wie die ärmsten Hunde. Die Gebissunterschiede zwischen Arm und Reich sind Vergangenheit. Die nächste Stufe ist, dass sich in den Mündern der Reichen kommunistische Parolen breit machen, die ihnen dann und wann, stets bei unpassender Gelegenheit, laut über die Lippen rutschen. Ohne es zu wollen, rasseln sie Auszüge aus kommunistischen Pamphleten herunter. Meiwald reibt sich die Hände. Die "Zahnpastabestie" hat zugeschlagen. Das könnte der Anfang einer völlig neuen politischen Entwicklung sein. Ausgelöst durch das Zähneputzen.

© 2010 Klever Verlag, Wien.

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