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„Das Erzählbare ist überall“


Der Erzähler von Lukas Meschiks Roman „Jetzt die Sirenen“ hat sich „Die absolute Zerstörung alles Absoluten“ auf die Fahnen geschrieben. Und als Leser von Meschiks Debüt, das dieser 2009 mit gerade einmal 21 Jahren veröffentlichte, konnte man damals nicht umhin, den sprachgewaltigen Erzähler zu einem gewissen Grad mit dem Verfasser dieses hoch-, ja, überambitionierten Texts gleichzusetzen. Der Autor ist angetreten als eines dieser maßlosen Junggenies – die meisten davon übrigens Männer –, auf die das Wort „absolut“ perfekt passt: am liebsten würden sie mit einem absolut perfekten Erstling antreten, der all ihr Können (und noch ein bisschen mehr) zeigt, eine eigene Welt errichtet und gleich wieder zerstört (weil man es kann), in dem alles mit allem zusammenhängt, der hermetisch, verstörend und teilweise kaum zu entschlüsseln ist. Die neuere Literaturgeschichte ist, von Thomas Pynchon („V.“) bis Clemens J. Setz („Söhne und Planeten“) reich an Beispielen für solche Bücher. Die wenigsten davon liest man mit großem Genuss, weil die verbissene Anspannung dahinter zu spüren ist, aber es sind Werke, die darauf hinweisen, dass hier jemand antritt, der wirklich etwas will und mit dem in Zukunft zu rechnen sein wird.

In Meschiks Fall erzählte das Buch von einem Weltuntergangsszenario: Die Menschheit schrumpft mit rasanter Geschwindigkeit, in den Zwischenüberschriften wird die Weltbevölkerung von 7.000.000.000 auf 0 runtergezählt. Für etwaige Nachwelten dokumentiert ein Archivar, der Film- und Fernsehaufnahmen sichtet, die Auslöschung der Menschheit. Eine Versuchsanordnung, wie geschaffen für einen jungen Autor mit großen Erwartungen an sich selbst. „Das erste Buch ist das Paradebeispiel für ein Debüt“, sagte Lukas Meschik denn auch zwei Jahre nach dessen Veröffentlichung in einem Interview. „Man will eben zeigen, was man kann. Ich bin aber immer noch glücklich damit, das ist keine Jugendsünde.“

2010 ließ der Wiener den Erzählband „Anleitung zum Fest“ folgen, mit dem er wiederum sein hohes Sprachbewusstsein demonstrierte. 2012 zündete er mit „Luzidin oder Die Stille“ die nächste Stufe. Es war ihm gelungen, vom kleinen, feinen Luftschacht Verlag zu Jung und Jung zu wechseln, dem – gemessen an der Zahl der gewonnenen Deutschen Buchpreise – renommiertesten deutschprachigen Literaturverlag heute. Als Eintrittskarte diente ihm ein weit über 500 Seiten starker Roman, in dem er das in seinem Erstling Gezeigte stilistisch ein wenig bündelte, aber dafür auf umso breiterer Leinwand zeigte. Noch einmal unterstrich und betonte er damit die Botschaft, die schon „Jetzt die Sirenen“ hinausposaunt hatte: Welt, hier bin ich. Dass Meschik sehr hohe Ansprüche an Literatur, in erster Linie an sein eigenes Schreiben hat, zeigt ein kurzer poetologischer Einschub in dem Roman. „Absolute Sprachbeherrschung ist das Minimum“, heißt es da einmal, „weniger sollte in der Schreibendenwelt gar nicht vorgesehen sein. (...) Hinzukommen müssen Wille und Fähigkeit zur Sprachspekulation.“

In „Luzidin oder Die Stille“ geht es wenig überraschend denn auch um alles: um die Wahrnehmbarkeit der Welt, um das Erleben von Wirklichkeit im Zeitalter des so genannten Homo communicans („Kommuniziert werden muss alles, was stattgefunden haben will“); um Wien (das hier selbstbewusst als Welthauptstadt in Erscheinung tritt), seine Menschen und U-Bahnen; um die Liebe, das Geld, Gott, Drogen, Sex; und immer auch ums Schreiben und um die Frage, wie heute Geschichten zu erzählen wären: „Alles, was es über das Universum zu glauben gibt, lässt darauf schließen, dass man noch lange an der Nase herumgeführt, noch ewig gezwungen sein wird, für immer neue Eigenschaften neue Wörter zu erfinden, die neue Zungen verlangen, um neue Laute zu bilden.“

Wieder ist davon die Rede, einer etwaigen Nachwelt Zeugnis abzulegen:

In einem Backsteinhaus im 2. Bezirk hat sich eine Gruppe Schreibender verschanzt, „bemüht, eine Chronik zu verfassen, die den Nachgeborenen die derzeitige Gegenwart begreiflich zu machen hilft“. Rund um die Uhr hauen die sieben Mitglieder oder 70 Finger der Gruppe der sieben Gefahren in die Tasten. Alles muss festgehalten werden.

Unablässig dreht der Autor in „Luzidin oder Die Stille“ dafür an seinem Erzähl-Kaleidoskop. Schauplätze und Figuren wechseln immer wieder, Schlaf findet in dem Buch kaum jemand. Warum auch? Das im Titel präsente Medikament Luzidin ermöglicht als Wundermittel Wachträume nach eigenem Bestimmen („Im Klartraum ist man endlich Held seiner Geschichte“). Die Nebenwirkung der Droge ist, dass niemand mehr in der Realität leben möchte.

Meschick dreht die Schraube noch weiter, indem er in dem Roman ein Zweitwelt über die ohnehin schon verwirrend komplizierte erste legt. Abziehbilder der Menschen laufen in dieser herum, von den echten Menschen kaum zu unterscheiden. Allerorts zeigen sich „Verdopplungen und Spiegelungen, Labyrinthe und Rätsel, neuerdings raschelt es mir unterm Gewand, als bestünde ich aus Papier“. Ganz am Schluss wäscht ein „Buchstabenregen“ alles weg: „Die Buchstaben versickern in der Stadt und machen Wien zu einem fruchtbaren Boden. Das Erzählbare ist überall. Es wartet auf Schatzsucher, die mit Bleistiften ihre Nuggets aus dem Untergrund hebeln.“

Gerade hat Lukas Meschik seinen nächsten Roman beendet, an dem er gleichzeitig mit einem weiteren Roman gearbeitet hat. Er steht weiter zu allem, was er bislang publiziert hat, aber er will auch auf keinen Fall stehbleiben und sich wiederholen. „Am Anfang versucht man, etwas Überbordendes zu machen“, sagt er auf die Frage, wo sich sein Schreiben in den letzten zwei, drei Jahren hinentwickelt hat. „Jetzt bin ich mehr an einfacheren Strukturen interessiert. Ich bemühe mich gerade, dass mein Schreiben ruhiger, langsamer und konzentrierter wird und drehe jedes Wort noch mal um.“

Ein gutes Beispiel für diese neue Konzentriertheit in seinem Schreiben stellt wohl der für die AUFTRITTE entstandene Text „Konjunktiv“ dar, in dem ein Mann durchspielt, was alles gewesen wäre, hätten er und seine Freundin ein Kind bekommen. Meschik spielt hier auf dem überschaubaren Raum einer Mann-Frau-Paarbeziehung wie in früheren Arbeiten eine Versuchsanordnung durch: Wie wäre dieses Kind, das nie geboren wurde, aufgewachsen, wie hätte es sich entwickelt und seine Eltern verändert? Der Autor geht diesmal allerdings strukturierter, fokussierter vor und erzählt in einer Drehzahl und einem Tempo, die der Leser leichter mitgehen kann:

„Er wäre in den Kindergarten gekommen, hätte dem Kreis der Sandkastenfreunde einen weiteren hinzugefügt. Er hätte manchmal stundenlang für sich sein können, mit fingerdicker Malkreide Ungeheuer und Schiffe direkt aufs Zeichenpapier hinphantasiert. Am ersten Schultag hätte er verloren am Normsessel vorm Normtisch Platz genommen, hätte in seiner Zartheit die Möbel grob und klobig wirken lassen, in unseren festen Blicken Halt gesucht und gefunden. Er hätte naschen dürfen und bei begründetem Verbot heimlich trotzdem genascht, an der Supermarktkassa gebettelt und oft seinen Kopf durchgesetzt. Er wäre älter geworden und jung geblieben. Wir hätten ihn durch den alten Trick des konsequenten Beispielgebens zu einem Leser gemacht.“

Man kann diesen Text als Gedankenspiel oder auch als schöne Stilübung abtun, doch ist er mehr als das. Die andauernde Verwendung des Konjunktivs rückt mit Fortdauer des Texts immer schmerzlicher in den Mittelpunkt, was dieser dem Leser vorenthält. Er schweigt sich darüber aus, warum dieses Kind, das so geliebt worden wäre, nie geboren worden ist, ob die Beziehung der Leider-nein-Eltern in die Brüche gegangen oder ob sie noch aufrecht ist, aber das Paar keine Kinder bekommen kann. Es ist erst die Verzweiflung darüber, kein Kind zu haben, die dazu führt, sich dessen Aufwachsen in umso leuchtenderen Farben vorzustellen. Diese Verzweiflung des Erzählers bringt eine emotionale Dringlichkeit ins Spiel, die neu ist in Meschiks Literatur.

Bis dato waren seine Texte von Hirn bestimmt, für das Herz hat er schließlich seine Lieder. Lukas Meschik ist der gar nicht so häufig anzutreffende Fall einer künstlerischen Doppelbegabung. Wo es sich üblicherweise so verhält, dass ein Autor nach ein paar Büchern herzeigen will, auch Songwriter zu sein, oder umgekehrt ein Songwriter sich nach einigen Alben auch an einem Roman versucht, macht Meschik beides seit Jahren mit vergleichbarer Intensität und Leidenschaft. Filou heißt die Indieband, der er als Sänger und Texter seinen Stempel aufdrückt. Dabei schlägt er ganz andere Töne an als in seinen literarischen Texten und versucht mit Worten zu fassen, was gerade an Gefühlen in der Luft liegt.

In einem neuen Lied, das er im Literaturhaus erstmals gespielt hat, singt das lyrische Ich davon, wie er sich so durchs Leben schummelt: „Was machst du so und wie machst du’s / Dass dich keiner dabei erwischt / Man sichtet dich im Kaffeehaus / Wo du Zeitung lesend sitzt“. Lukas Meschik selbst ist eigentlich keiner dieser Slacker-Lebenskünstler. Er hat früh gewusst, was er will und dass er sich in seinem Leben primär künstlerisch ausdrücken will. Er hat deshalb die Schule abgebrochen, vielleicht auch, um gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, irgendwann einmal die Wahl zwischen der Unsicherheit als Autor und Musik und einem vermeintlich sicheren Job zu haben. „Mittlerweile hat jeder kapiert, dass es keinen ,sicheren‘ Lebensweg mehr gibt, sofern es den jemals gab“, sagt er dazu. „Für mich gehört es zum Pragmatischsten, Naheliegendsten überhaupt, sich einfach nur mit aller Energie in das zu stürzen, was einen interessiert.“

Und: „Es gibt nur eine Art für mich, glücklich zu sein. Einen Plan B zu haben, wäre mir gegenüber unehrlich, da würde ich mich selbst für dumm verkaufen. Es ist gut, sich nicht alle Türen offenzuhalten, sondern einzelne zu schließen, um gezwungen zu sein, nur durch die zu gehen, durch die man wirklich will. Ich habe in jedem Moment das Gefühl, mein Leben zu leben und nicht das irgendeines anderen; das klingt für manche nach wenig, aber nicht jeder kann das von sich behaupten.“

© Sebastian Fasthuber, 2014__________________________________________

Sebastian Fasthuber, Jg. 1977, studierter Komparatist, lebt und arbeitet in Wels und Wien, schreibt als Literatur- und Musikkritiker vorwiegend für „Falter“ und „Salzburger Nachrichten“ sowie für „Die Presse“, „Datum“ und „Volltext“.

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