Vier Musterreden aus traurigem Anlass, geschrieben für alle, die bei einem Begräbnis reden müssen und keine Ahnung haben, wie man das macht
REDE 1
Liebe Angehörige, Verwandte und Bekannte, werte Freunde und Nachbarn des Verstorbenen, liebe Trauergemeinde.
Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Von diesem ehernen Naturgesetz bleibt selbst der Mensch nicht verschont, die Krone der Schöpfung. Wie die Blume am Wegesrand, der Vogel in den Lüften, die Kuh auf der Weide und das Schwein im Koben, so hat auch der Mensch einen Anfang und ein Ende. Auch er ist am Anfang nicht mehr als ein Zellhaufen, ein Knäuel Erbsubstanz, und er spinnt seinen Lebensfaden, bis der Faden reißt; er entknäult sich jahrelang, jahrzehntelang, bis er am Ende wieder dort ist, wo er ganz am Anfang war: im Nichts.
Liebe Trauergäste, Karlheinz Kranz hat sich zu Ende entknäult. Er ist tot. Anders kann man das nicht sagen. Und warum sollte man es auch anders sagen? Denn so grausam es klingen mag, es ist doch nicht mehr als ein Naturgesetz, dem wir uns zu fügen haben, so, wie wir uns der plötzlich einbrechenden Kälte im Winter fügen, einem plötzlichen Gewitter im Sommer, einem plötzlichen Regierungswechsel.
Karlheinz ist tot, weil es die Natur so wollte. Und wer wollte der Natur am Zeug flicken und sagen: Das darf nicht sein, dass ein Mensch stirbt. Eine Blume: ja. Ein Vogel: ja. Ein Schwein: auch. Aber nicht der Mensch. Nicht die Krone der Schöpfung. Nicht Karlheinz Kranz.
Karlheinz Kranz, geboren 1920 in Berlin, gestorben vor drei Tagen im Schlaf, hat so gelebt, wie er gestorben ist: ruhig und gelassen. Die Stürme des Lebens brausten über ihn hinweg, aber er ließ sich davon nicht beirren. Er tat einfach nur seine Pflicht. Von 1935 bis 1945 bei einer Sondereinheit der Wehrmacht, dann im DDR-Staatsdienst, schließlich als rüstiger Rentner bei einer politischen Aktionsgemeinschaft. SS, Stasi, AG Rechte Recken – ja, Karlheinz war ein politisch engagierter Mensch. Sein größtes Glück allerdings war privater Natur. Er fand es im Westernclub Rio de Plata e. V. im Berliner Stadtteil Marzahn. Dort hat er jahrelang kleine Lesungen aus dem Werk des großen deutschen Schriftstellers Karl May organisiert und höchstselbst an diesen Lesungen mitgewirkt. Mit ebenso berührenden wie glanzvollen Vorträgen aus „Der Schatz im Silbersee“, „Durchs wilde Kurdistan“ und „In den Schluchten des Balkan“ hat sich Karlheinz Kranz um die Bewahrung und Pflege des deutschen Kulturguts bis an sein Lebensende verdient gemacht.
Lassen Sie uns nun den lieben Verstorbenen mit einem besinnlichen Satz aus der Feder seines Lieblingsschriftstellers für immer verabschieden. Liebe Trauergäste: Auch der Indianer ist ein Mensch.
REDE 2
Liebe Kameraden des Verstorbenen.
Es ehrt die Freiwillige Feuerwehr Lützelkofen, dass sie in einer eigenen Trauerfeier des so plötzlich und unverhofft aus ihrer Mitte gerissenen Eberhard Waldauf gedenkt. Er ist nach langem, schwerem Leiden der Alzheimerschen Krankheit erlegen. Süß wie der Tod ist das Vergessen, liebe Kameraden, aber die Feuerwehrmänner der Gemeinde Lützelkofen werden Eberhard Waldauf stets im Gedächtnis behalten, mehr noch: in guter Erinnerung.
1977 trat er der Freiwilligen Feuerwehr bei, 1995 wurde er Löschgruppenführer. In dreißig Jahren fehlte er nur bei einem einzigen Einsatz, das war 1985, als er mit seiner Frau eine Kulturreise auf den Spuren von Neros Rom unternahm.
Ansonsten war er in all den Jahren immer zur Stelle, immer da, immer mutig. Unvergessen ist seine heldenhafte Tat, als er 1999 aus dem brennenden Stall des Bauern Gundler elf Kühe und zwanzig Schweine evakuierte und sich dabei eine Rauchgasvergiftung zuzog. Ob im Einsatz, bei Übungen oder im privaten Bereich: Auf Eberhard Waldauf konnte man sich verlassen. Er konnte mit dem Schlauch umgehen wie sonst keiner, und dass er in letzter Zeit immer wieder mal vergessen hat, das Wasser aufzudrehen, war seiner Krankheit geschuldet, nicht dem Mangel an Begeisterung für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Freiwilliger Feuerwehrmann der Gemeinde Lützelkofen.
Heute steht Eberhard Waldauf hier, vor seinen Kameraden, als Urne, und wenn er noch sprechen könnte, dann würde er mit den Worten des deutschen Volksmundes sagen: Wenn alte Scheuern brennen, hilft kein Löschen.
REDE 3
Werte Trauergemeinde.
Gott prüft die, die er liebt, am härtesten. Und wie sehr muss Gott die verstorbene Klara Schramm geliebt haben, denn er hat sie hart geprüft. Und wie das bei Prüfungen eben so ist: Die einen bestehen sie, die anderen nicht. Die einen steigen auf, die anderen bleiben sitzen.
Klara Schramm ist aufgestiegen, liebe Trauergäste, aufgestiegen zu Gott. Sie hat sich dem Herrn hingegeben, und auch wenn viele unter Ihnen gramgebeugt sagen werden: zu früh, es war zu früh, so müssen wir alle Klaras Entscheidung respektieren.
Mit ihren zweiundzwanzig Jahren hat sie den entscheidenden Schritt getan, den Schritt vom Balkon ihrer kleinen Studentenwohnung im dreißigsten Stock eines Plattenbaus. Warum, das weiß nur Gott, der große Prüfer. Sicher ist: Klara Schramm wollte nicht fallen, sie wollte fliegen. Hinauf zu Gott. Aber wer hoch hinaus will, der muss erst tief fallen, und so war es auch bei Klara. Sie landete auf einem Straßenmusikanten und war sofort tot, aber in Wahrheit erlangte sie in diesem Augenblick das ewige Leben. Dies mag ein Trost für alle sein, die um Klara trauern und sie sehr vermissen werden. Sie war eine so fröhliche junge Frau. Sie ist so oft mit ihren Studienkollegen, von denen heute einige unter uns weilen, um die Häuser gezogen. Sie hat so gerne gelacht, getanzt, gefeiert. Sie hat so oft der ganzen Runde eine Pizza con Cozze spendiert, ihre Lieblingspizza, und es wird von nun an eine ganze Menge Menschen geben, die nie wieder eine Pizza con Cozze essen können, ohne an Klara Schramm zu denken.
Aber Klara war nicht nur eine lebenslustige junge Frau, sie war auch ein pflichtbewusster Mensch, eine fleißige Studentin. Sie hat im vierten Semester Architektur studiert und wollte sich auf sozialen Wohnbau spezialisieren. Wer weiß, für wie viele Menschen Klara Schramm noch kleine Wohnungen mit Balkon und prachtvoller Aussicht geschaffen hätte. Aber lassen Sie uns nicht daran denken, es schmerzt zu sehr. Lassen Sie uns daran denken, dass Klara jetzt unter den Gerechten im Himmel weilt und die prachtvollste Aussicht hat, die man sich nur vorstellen kann. Und wenn wir daran denken, dann sollten wir für einen Augenblick auch an den Straßenmusikanten Karl Klein denken. Auch er sitzt im Himmel, vielleicht sogar an Klaras Seite, und genießt die Aussicht.
Pause. Gedenkminute.
Liebe Hinterbliebene, lassen Sie mich nun zum Abschluss ein kurzes Gedicht aus der Feder des großen deutschen Poeten Theodor Fontane zitieren. Ein Gedicht, das uns allen zum Trost gereichen möge, uns, die wir alle sterblich sind und dies, nach dem Vorbild Klaras, nicht als Last empfinden sollten, sondern als Gnade.
Leben? Wohl dem, dem es spendet
Arbeit, Freunde, täglich Brot.
Doch das Beste, was es sendet,
ist das Wissen, dass es endet,
ist der Ausgang, ist der Tod.
REDE 4
Liebe Trauergemeinde, Lotta ist tot. Sie starb vor fünf Tagen. Sie war drei Jahre alt. Die näheren Umstände ihres Todes sind uns allen bekannt. Wir konnten die Details in der Zeitung lesen oder in den Nachrichten hören. Wir alle wissen, was geschehen ist. Wir alle wissen, warum die Eltern der kleinen Lotta heute nicht hier sind. Liebe Hinterbliebene, mir fehlen die Worte. Worte des Trostes, Worte des Beileids. Mir fällt zu Lotta nichts ein, was nach Trost oder Beleid klingt. Mir fällt ein Märchen ein.
Es war einmal ein Kind, das lag in seinem Bettchen und wollte nicht schlafen und weinte bitterlich. Da ist sein Vater gekommen und hat ihm ein Liedchen gesungen. Eia träum süße / Ich wieg dich mit den Füßen / Ich wieg dich mit dem schwarzen Schuh / Schlaf mein Kind, schlaf immerzu / Eia träum süße. Aber das Liedchen half nicht, und das Kind wollte nicht schlafen und hat bitterlich geweint. Das ging eine ganze lange Zeit so, und immer wieder kam der Vater ans Bettchen, aber das Kind wollte nicht schlafen, und da ist es krank geworden und lag bald auf dem Totenbettchen. Als es ins Grab versenkt war und Erde darüber gedeckt, kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde drüber deckten, so half das nicht, es kam immer wieder heraus. Da musste die Mutter selber zum Grab gehen und mit der Rute auf das Ärmchen schlagen und ein Liedchen singen. Eia schlaf weich / Schweigst du mir nicht gleich / Geb ich dir Sünderlein / Geschwinde das Rutelein / Eia schlaf weich. Und wie sie das getan hatte, zog sich das Ärmchen hinein und das Kind gab endlich Ruhe unter der Erde.
Die kleine Lotta, sie ruhe in Frieden.
_________________________________
© Anita Augustin, 2015