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Natascha Gangl: Wendy fährt nach Mexiko.

Klagenfurt und Graz: Ritter, 2015.
176 S.; broschiert;
Euro 13,90.
ISBN: 978-3-85415-531-7.

Autorin          Leseprobe

„Wer ist denn Wendy?
Die Wendy ausm Comic. Die hat dicke blonde Haare mit Wellen und Pferde. Wenn ich jetzt also zurück denke, dann mag ich Wendy im Bild haben. Da soll Wendy kommen. Die Wendy soll nach Mexiko gekommen sein. Und sie soll für uns laufen.“
(7)

Natascha Gangls Debütbuch „Wendy fährt nach Mexiko“ beunruhigt, irritiert und fasziniert durch die programmatische Konfrontation zweier gegensätzlicher Welten, Genres, Semantiken: Die aus einer Pferdezeitschrift für ein junges Publikum bekannte, harmlos-biedere Wendy wird in ein sur-/reales, von Tod und Verfall bestimmtes Mexiko gestellt. Aus einer kunstvoll mit Nähe und Verfremdung spielenden Wendy-Perspektive erzählt Gangl – von dieser in den Text eingesenkten Grundspannung abhebend – von Jaime, der an AIDS stirbt und Wendy auch nach seinem Tod nicht mehr loslässt, von Luca, bei dem sie keinen Trost findet, der sie nicht vergessen lässt, oder von Ignacio, der mit ihr, letzter Fluchtort, letzte Rettung, hinausfährt zur mit der Totenwelt korrespondierenden Curandera – „eine mittdreißigjährige Hexe aus Marseille, die sich in der mexikanischen Sierra verschanzt hat.“ (142)
In diese düstere, aber dennoch auf seltsame Weise reizvolle Mexiko-Welt drängt sich immer wieder die alte Wendy-Welt hinein und die teils prekären Verbindungslinien zwischen den beiden Welten werden lesbar. So am Geburtstag der Mutter und dem fast schon kafkaesk anmutenden Unternehmen, eine Telefonverbindung nach Europa herzustellen: „Ach, die Stimme der Mutter, das erste Nest und der erste Käfig.“ (133). Aber vor allem Schwester Helenas Auftritt enthüllt, wovor Wendy in ihr mexikanisches Laboratorium des anderen Weges – Dantes „altro viaggio“ – geflohen war:

„Helena sagt:
Lebensplanung, Familienplanung, Krankenversicherung.
Helena sagt:
Brustvergrößerung, Bauchverkleinerung, Brustwarzenvernarbung.
Helena sagt:
Betrug, Treue, Schwanz, Kinder, Sinn des Lebens.“
(97)

Wendys Ausbruchsversuch wird gespiegelt und spiegelt sich im literarischen Formexperiment. Gangl collagiert Bilder aus der Wendy-Welt, der Mexiko-Welt, der Gangl-Welt, der Totenwelt, schneidet spanische, englische und deutsche Textelemente ineinander, mischt konkrete Poesie, an Elfriede Jelinek erinnernde Körperprosa und Comic-Zackbumm. Daraus entsteht ein sprunghafter, episodischer, fragmentierter Text, dessen Einzelteile oft auch für sich stehen könnten, zum Beispiel an einer Hauswand, einer Garage, unter einem Bild:

„Für einen, der aufsteht, gibt’s einen, der nicht schlafen geht.
Euer Land bringt euch an seine Grenzen.
Herr Präsident, Sie sind ein
A
A
Aussichtsloch.“
(25)

„Wendy fährt nach Mexiko“ ist – mit einem Bild aus dem Buch gesprochen – ein „Mosaik aus Milliarden bunter Steine, […], zusammengetragen aus ganz Mexiko“, es ist ein „große[s] Gezeige“, in dem Wendy „etwas wie Antwort oder Segen oder Schuld zu finden“ (24) versucht. Dabei ist es eine besondere Qualität von Gangls Schreibweise, dass sie sich durch die bunte Klischeewelt Mexikos zitieren, referieren, rhapsodieren kann, ohne dass ihr Text auch nur im Ansatz klischeehaft wäre. Im Gegenteil: Was Gangl macht, ist radikale De-Stereotypisierung über die Perspektivierung einer ursprünglich extrem stereotypen Hauptfigur. Ein paradox anmutendes Verfahren, das aber anti-klischeehaftes Schreiben in seiner kompromisslosesten Form ermöglicht. Und nicht nur das: Es verhindert auch die Ineinssetzung von Autorin und Hauptfigur. Gangls Text gerät nie in Verdacht, etwas wie autobiographische Authentizität inszenieren zu wollen, selbst wenn die Autorin, die laut Klappentext „seit zehn Jahren zwischen Österreich und Mexiko“ lebt, aus persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen geschöpft haben sollte. „Wendy fährt nach Mexiko“ ist somit eine höchstgradig subjektive Anverwandlung, Aneignung und gleichzeitig mittels individueller Formsprache erfolgende Umwandlung und Neuschöpfung von Welt. Man könnte auch einfach sagen: Gute Literatur. Und wie immer bei guter Literatur liegt gerade in der höchsten künstlerischen Subjektivität stets das alle Mitmeinende, alle Mitbetreffende, wird das kollektiv Gültige im scheinbar Singulären offenkundig:

„Sie heißen Wendy. Ihre Haare sind lang und blond. Sie haben ein Pferd. Sie sind ein gutes Mädchen. Sie haben eine Kruste angelegt, die zieht ihnen keiner mehr ab.
SUPERANDOME
SUPER RANDOM ME“
(126)

Rezension von Gerald Lind
30. November 2015

 

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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