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Gerhard Deiss: Rückkehr nach Europa.

Roman.
Wien: Edition Atelier, 2019.
151 S.; geb.; Euro 18,-
ISBN 978-3-99065-005-9.

Autor

Leseprobe

Der Diplomat a.D. Gerhard Deiss hat sich mit seiner Pensionierung 2015 vermehrt der Komposition und dem Schreiben zugewandt. In seinem Buch "Rückkehr nach Europa" erzählt er von einem Österreicher, der nach einer Autoüberstellung nach Westafrika in Dakar landet und aufgrund diverser persönlicher Konflikte, aber auch wegen beruflicher Miseren wenig Motivation entwickelt, wieder in diese sogenannte Heimat zurückzukehren. Nachdem das Geld rasch verbraucht ist, taucht der von den Einheimischen Mamadou (westafrikanisch für Muhammad) genannte Protagonist ein in die harte Welt der Bettler. Ist schon das Betteln in Europa kein überzeugendes Erfolgsmodell, so zeigt sich rasch, dass diese Form der Geldbeschaffung im Senegal noch geringere Aussichten auf wirtschaftliche Relevanz hat. Vor allem dann nicht, wenn sich ein Weißer darin versucht.

Was ihn am Ort hält, ist vor allem die Route de la Corniche, die Küstenlinie, die in ihrer Mischung aus schroffer Härte und tosendem Atlantik fasziniert. Dieses Faszinosum vermittelt der Text. Hier kann der Lesende dem Protagonisten nah sein. Doch das Hauptmanko dieses als Roman titulierten Buches ist die fehlende Figurenführung. Der Held dient dem Autor zu oft als Botschafter für die kulturellen Besonderheiten Westafrikas. Dabei erfährt man auch Lohnendes über Sprachen wie Wolof, idiomatische und kulturhistorische Besonderheiten. Doch der ehemalige Diplomat Deiss mischt sich zu sehr ein in den Helden und nimmt ihm dadurch den Atem, eine eigenständige fiktive Schöpfung zu werden. Die Entwicklung bleibt dabei auf der Strecke, die familiären Themen sind bloß angedeutet und nicht erzählt. Das Resultat ist mangelnde Identifikation mit einem Charakter aufgrund fehlender Komplexität. Man weiß nicht zu wem Mamadou zwischendurch spricht? Wem erzählt er seine Geschichte?

Am stärksten ist dieses Buch in seiner Schilderung der Rückkehr nach Europa mittels eines Schleppers. Hier dreht Deiss das Narrativ um, nicht der Afrikaner will obsessiv nach Europa, sondern der Europäer müht sich widerwillig, nach Europa zurück zu gelangen. Widerwillig deshalb, weil Mamadou trotz desaströser ökonomischer Situation in der Welt des Senegal genau richtig am Platz zu sein scheint. Doch die Gesundheit des Wieners ist so angegriffen, dass ein längerer Aufenthalt in Dakar den sicheren Tod bringen würde. Außerdem drohen die Behörden dem Bettler mit Verhaftung. Gemeinsam mit seiner senegalesischen Freundin Coumba versucht er zunächst, über den legalen Weg zurück nach Europa zu kommen. Da Coumba ein Visum verweigert wird und Mamadou nicht die Absicht hat allein zurückzukehren, gibt es zur Flucht keine Alternative.

Stilistisch finden sich in diesem Roman etliche Passagen, die eher an eine literarische Reportage erinnern und das Geschehen vor allem vermittelnd veranschaulichen wollen. Ein eigener, avancierter Erzählton oder sprachlich raffinierter Duktus ist offenbar nicht das Ziel des Autors. Es gibt wenige Bilder, die tatsächlich berühren oder intellektuell überraschen. Am stärksten ist der Text in den Szenen an Bord des Flüchtlingskahns Ada Bintou. Hier trifft in a nutshell die ethnologische Durchmischung Westafrikas aufeinander, religiöse und kultursoziologische Unvereinbarkeiten treten zu Tage und bilden überzeugend die Dilemmata in diesen Ländern mit starker Transformation ab. Unprätentiös und aufklärerisch bringt Deiss hier die Mischung aus Erlösungsphantasien, moralischer Indoktrinierung, politischer sowie wirtschaftlicher Not und archaischem Erbe zum Ausdruck, die viele Menschen in Afrika zur Flucht drängen. Gewiss ist das Thema dieses Buches aktuell. Es gibt angesichts der demografischen Perspektive Afrikas auch wenig Hoffnung, dass es an Aktualität verliert.

Eine reizvolle erzählerische Idee ist die Begegnung Mamadous mit dem Journalisten Bill Hooper, der die Überfahrt journalistisch dokumentieren will und sich dadurch Lorbeer und Pecunia erhofft. Die Berichte Mamadous scheinen die Erwartungshaltung des britischen Korrespondenten zu unterlaufen. Während dieser reißerische Geschichten erfahren möchte, liefert Mamadou lediglich Schilderungen des Schiffsalltags, einfach, konfliktreich zwar, aber nicht aus antikem Heldenmaterial geschaffen. Viel näher gehen da die Schilderungen des Griots an Bord des Schiffes. Unter einem Griot wird in Westafrika ein Sänger oder auch Dichter verstanden, der seine Texte mündlich vorträgt. Es ist dies eine einprägsame kulturelle Différance, die das Buch von Deiss eröffnet: Während in Europa der (Boulevard)-Journalismus ungebrochen starke Bindungskraft ausübt und Information geschrieben weitergegeben wird, besteht in Afrika noch eine Tradition der mündlichen Überlieferung, oft angereichert mit rhetorischen Figuren wie Gleichnissen. Hier wird en passant Kritik am Logozentrismus geübt.

Heroisch geht auch diese Reise nicht zu Ende. Man weiß nicht, wo der Held metaphorisch gesprochen landen wird. Die Hoffnung jedenfalls scheint auf dem Weg versunken zu sein. Er träumt einmal noch vom Senegal, der Corniche, den staubigen Straßen, der trockenen Savanne, den Wurzelhöhlen und seinem wohligen Heimisch-Sein als Fremder – als Toubab.

Alexander Peer
27.03.2019

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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