Sehr vielfältig war die Reaktion österreichischer Autorinnen und Autoren, Literaturhäuser und Verlage auf die Ausnahmesituation im Corona-Jahr 2020. Blogs, Videos, Tagebücher und Online-Veranstaltungen haben sich ab dem ersten Lockdown im März mit den sozialen und politischen Herausforderungen der Pandemie auseinandergesetzt und auch unter erschwerten Bedingungen gezeigt, wie lebendig und vielfältig die heimische Literaturszene ist. Erste literarische Publikationen, die in diesem Spannungsfeld entstanden sind, liegen jetzt schon in Buchform vor und seien hier als Lesestoff für die Feiertage empfohlen.
Notfall: Covid-19 Texte zu und in der Pandemie edition pen im LÖCKER Verlag Hg. von Reinhart Hosch und Helmuth A. Niederle
In den gängigen Diskussionen über den Coronavirus sind die eurozentristischen und im besonderen Fall von Österreich die austrozentristischen Standpunkte vorherrschend. Es gibt keinen Grund die Probleme, die diese Pandemie in einem entwickelten Land wie dem unseren anrichtet kleinzureden, aber die Auswirkungen der Krankheit in Regionen, die medizinisch nicht so entwickelt sind, gilt es im Diskurs mitzudenken. Wenn Menschen obdachlos sind – das trifft für zahlreiche Länder südlich und östlich von Europa zu – ist eine Ausgangssperre (Lock down) prinzipiell nicht durchsetzbar. Trotzdem sind diese Menschen Opfer exzessiver polizeilicher Gewalt. In dem Buch "Notfall: Covid-19" wird eine Themenvielfalt behandelt, welche die Probleme in unseren Breiten fast klein erscheinen lässt. Dass der problematische Umgang mit den in Österreich verbrieften Grundrechten Anlass zur Sorge bietet, wird in mehreren Beiträgen erörtert.
Beiträge von: Elisa Asenbaum, Sunil Awachar , Dato Barbakadse, Georg Biron, Hugo J. Bonatti, Eleonora Bögl, Tsippy Levin Byron, Chandrakant Channe, Manu Dash, Boubacar Boris Diop, Tilman Eder, Herbert Eigner-Kobenz, Alexander Emanuely, Stephan Eibel Erzberg, Amlanjyoti Goswami, Ananya S Guha, Max Haberich, Ishraga Mustafa Hamid, Elfriede Hammerl, Marián Hatala, Reinhart Hosch, Aftab Husain, Sarita Jenamani, Ida Leibetseder, Karl Lubomirski, Christina Kainzbauer, Harald Kollegger, Wolfgang Kubin, Harish Mangalam, Anton Marku, Manfred Matzka, Wolfgang Mayer König, Satya Mohanty, Ulli Moschen, Annemarie Moser, Helmuth A. Niederle, Alexander Peer, Eva Petri?, Traude Pillai-Vetschera, Lorena Pircher, Doron Rabinovici, Michael J. Reinprecht, Sophie Reyer, Wolfgang Martin Roth, Gerhard Ruiss, Christian Teissl, Ingrid Thurner, Claudia Taller, Christoph Temnitzer, Katharina Tiwald, Ingrid Thurner, Irene Santori, Clementine Skorpil, Kurt F. Svatek, Vladimir Vertlib, Santiago B. Villafania, P. P. Wiplinger, Alfred Zellinger, Slavoj Žižek.
Covid-19 und das Corona-Virus haben in diesem Buch Platz- und Auftrittsverbot. Keine Jammerlappenliteratur, keine Trauergesänge, keine Klagelieder. 20 Schriftstellerinnen werfen in Form von Erzählungen, Essays, Dramoletten, Gedichten und Graphic Stories einen Blick auf das Danach. Auf eine Zeit nach der Krise.
Beiträge von: Corinna Antelmann, Judith Auer, Katharina Goetze, Andrea Grill, Elisabeth R. Hager, Silvia Hlavin, Rebecca Heinrich, Marianne Jungmaier, Julia D. Krammer, Ursula Laudacher, Melamar, Cordula Nossek, Karin Peschka, Antje Rávic Strubel, Marlen Schachinger, Sara Milena Schachinger, Siljarosa Schletterer, Angelika Stallhofer, Katharina Tiwald und Renate Welsh.
Bemerkenswert ist hier auch die Entstehung des Buches: Die Herausgeberin Marlen Schachinger hat im Vorfeld das Crowdfunding Projekt Arbeit statt Almosen initiiert, um Honorare für die Autorinnen zu lukrieren und gleichzeitig auf die finanzielle Lage von Kunstschaffenden hinzuweisen.
So ist die Welt geworden Roman von Marlene Streeruwitz bahoe books, Oktober 2020 2. Auflage im Dezember 2020!
Die einzelnen Kapitel sind ab März als Fortsetzungsroman auf der Webseite der Autorin erschienen: http://www.marlenestreeruwitz.at
«Coronakrise. Betty lag da. Sie sollte ihre Dehnungsübungen machen. Morgendliche Bravheit. Aber lockdown. Betty erließ sich gleich die Dehnungsübungen. Stattdessen erfand sie sich eine Figur. Sie brauchte jemanden. Sie brauchte den Rat und das Vorbild einer klugen und gesetzten Person. Sie überlegte den Namen. Sollte sie einfach eine ihrer Lieblingsautorinnen dafür nehmen. Einen oder eine herbeiholen, deren Romane sie so gut kannte. Oder lieber eine Romanfigur?»
Betty Andover ist die Heldin und zugleich immer wieder das Alter Ego der österreichischen Autorin Marlene Streeruwitz. In mehr als 30 Episoden offenbart Streeruwitz die verschiedenen Stadien der emotionalen und physischen Krisen in einer Welt im Stillstand. Sie analysiert dabei die Auswirkungen des Ausnahmezustands des lockdown auf Gesellschaft, Kunst und Politik.
"Ein Werk, das die komischen Aspekte der Krise herausarbeitet und ein befreiendes Lachen erlaubt", schreibt Sebastian Fasthuber im Falter. Wer eine Vorliebe für "infantilen Witz und höheren Unsinn, postmodernem Schabernack und Stilstudien" hat, ist hier genau richtig:
Mit ungekannter Härte bricht die zweite Coronawelle über die Welt herein. Gemeinsam mit der aufregend bipolaren CIA-Spezial-Agentin Tracy Contact tritt der Moddetektiv einen aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die mörderische Seuche an. Der Moddetektiv hat zwei Probleme: Er steht vor den Trümmern der großen Liebe seines Lebens,und sein Haarschnitt muss dringend fassoniert werden. Doch wegen der Pandemie hat sein Friseur seit Monaten geschlossen. Dem nicht genug, sieht es ganz danach aus, als ob Wiens bestaussehender Privatermittler selbst infiziert ist. Von Notfall-Hotline-Telefonistinnen als testunwürdig eingestuft, nimmt der Moddetektiv den Kampf gegen das tödliche Virus auf. Mit stetig schwindenden Kräften kämpft er sich auf der Suche nach einem Heilmittel durch einen von misanthropischen Milliardären, blutgierigen Plasma-Junkies und Apokalyptischen Anniesern bevölkerten Albtraum einer im Sterben liegenden Stadt. Dass dem amphetaminaffinen Berufsbeschatter langsam die Drogen ausgehen, macht die Sache auch nicht einfacher.
Virusalem Gesang aus dem Bauch des Wals Von Helmut Neundlinger Müry Salzmann, 2020
Wie fühlt es sich an, wenn über Nacht alles anders ist und das Ich zurückgeworfen auf sich selbst? Wie reagiert die Sprache auf solch einen Zustand? Verstummt sie? Bricht sie aus? Nach der Schockstarre der ersten Tage hat Helmut Neundlinger zu schreiben begonnen, jenseits der Geschwätzigkeit von Corona-Blogs. Als lyrischer Reporter sucht er die äußeren Entwicklungen in seinem Inneren auf: wie die Zeit ihre Form verliert, das Ich im eigenen Körper fremdelt, wie Enge und Leere, Verzweiflung und Panik die bekannten Fragwürdigkeiten zum Glühen bringen. Das alles mündet in den "Gesang aus dem Bauch des Wals", diesen großen Transformator, der, so alt wie die Zeit, den Menschen zu sich kommen lässt. Wie könnte die Sprache diese Verwandlung nicht abbilden?
Virusalem ist ein zwischen Poesie und Pointe changierendes, den Geist anregendes Vademecum, das – von der aktuellen Krise angestoßen – so weit über diese hinausweist wie die im Titel anklingende Stadt.
Corona. Ein Chor Lyrikzyklus von Sophie Reyer Edition Melos, Oktober 2020
»die Frau im Supermarkt ist jetzt dein einziger Gott der vor Einsamkeiten rettet«
Die Welt im Jahr 2020. Was noch vor einem Jahr wie ScienceÂ-Fiction klang, ist heute Realität: Die Pandemie hat uns fest im Griff, und allenthalben macht sich Krisenstimmung breit. Nicht so bei Sophie Reyer: Die Dichterin nutzt die Gunst der Stunde und lotet einmal mehr die Befindlichkeit des lyrischen ÜberÂ-Ichs aus. Ihre Antwort auf die Herausforderungen der Zeit ist ein Lyrikzyklus zum Thema – oder besser zu allen Themen, die derzeit virulent sind. Gewohnt souverän navigiert Reyer mit ihren Gedichten durch die Weiten der Gegenwart und assoziiert sich und uns ganz nebenbei neu in diesen so interessanten Zeiten.