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Olga Flor: Morituri.

Roman.
Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2021.
208 Seiten, gebunden, Euro 22,–.
ISBN 978-3-99027-246-6.

Olga Flor

Leseprobe
 

Provinz ohne Eigenschaften

Morituri, das sind der Legende nach die dem Tode geweihten Gladiatoren, die beim Betreten der Arena den Kaiser mit "Ave imperator, morituri te salutant!" begrüßen, dies im Bewusstsein, den ihnen bevorstehenden Kampf vermutlich nicht zu überleben.

Olga Flor lässt in ihrem Roman "Morituri" eine ganze Reihe von "Gladiatoren" auftreten, die als Bewohnerinnen und Bewohner einer kleinen ländlichen Gemeinde in der österreichischen Provinz nicht nur ihren "Kaiser", den jungen Präsidenten, in ihrer Gemeinde zu begrüßen, sondern zuvor als Mimen einer Provinzposse ein Sittenbild der österreichischen Gesellschaft zeichnen, das in seiner Aktualität skurril und beängstigend zugleich ist.

Zunächst tritt Maximilian auf, der den Anstrengungen seines Berufs, den "Behauptungen eines Portfolios, das man anbieten könnte" entfliehend aufs Land gezogen ist und in der 3487-Seelen (Tendenz sinkend)-Gemeinde am Rande eines Moorgebietes einen kleinen "Hof" bewirtschaftet, auf dem er Bienen züchtet und Hühner hält – die Bauweise des 50er-Jahre-Bungalows "hatte sofort sein Herz erwärmt". Die Zeit vertreibt sich der "Abgedankte in der globalen Provinz" mit "bukolischen Studien," bis er als Testperson für ein medizinisches Experiment im neu errichteten Forschungszentrum ausgewählt wird, bei dem sein Körper mit dem eines genetisch Passenden durch Bluttransfusion zusammengeschlossen wird.

Die Bürgermeisterin, die den Neubau dieser Einrichtung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und darüber hinaus betreibt, leitet ihre Gemeinde wie ein Unternehmen: die Burgruine im Wald wird für Mittelalterfeste vermarktet, Craft-Biere, gekreuzte Wikingerpferdeköpfe am Giebel und Kräuterhexen inklusive, für das gemeindeeigene Blatt festgehalten und abgelichtet durch den Kassier des örtlichen Kameradschaftsbundes, ein Verein, der sich mittlerweile mit "Bienenvölkerbollwerken gegen Fremdbienen aus dem Südosten" beschäftigt. Sie, die durch tatkräftige Unterstützung ihrer Partei ins Amt gelangt war, hatte schon für eine Landesausstellung mit dem Thema "Vergehen und Wiedergeburt: eine Kulturgeschichte des Kots" gesorgt, und nun sollte mit Beteiligung russischer Banken und dubioser Mittelsmänner der Neubau eines Forschungszentrums ohne Unterbrechungen vor sich gehen: denn es gäbe "da ein neues prächtiges Gesetzes-Tool in Österreich in Form von Verschleppung, bei Verschleppung der Einspruchsbehandlung automatische Genehmigung des Projekts, kicking this ball down the road habe dem part of the game eine neue Qualität hinzugefügt ..."

Zu diesen beiden Figuren gesellen sich weitere Akteure, die sich alle einen persönlichen Profit von diesem Neubau erhoffen. So gelingt es einer Flüchtlingshelferin, ihre Schützlinge als Versuchspersonen in der Forschungsanstalt unterzubringen – deren Eingangsbereich passender Weise auch "Einreisezentrum" genannt wird - , wo diese ihre Körper der Verjüngung gut zahlender (autochthoner) Kundinnen und Kunden zur Verfügung stellen. Durch das Synchronisieren der Vitalfunktionen soll der eine – ältere – vom biologischen System des anderen – jüngeren – profitieren: "Eine Weiterentwicklung des Menschenmodells, ein Gegenentwurf zum interaktiven (via Implantat Zugriff von außen bietenden) Maschinenmenschen: der Menschmensch". Maximilians Tochter bekommt den Auftrag, über die Eröffnung des "Good Life Centers" zu berichten: "Da wird dieses größenwahnsinnige Kleinkaiserreich auf das zurückgestutzt, was es ist, schrieb Ruth: ein Land mit dem Hang zur pornoästhetischen Schmierenkomödie, die sich nicht einmal selbst ernst nimmt."

Olga Flor zeichnet mit "Morituri" ein Panoptikum einer morbiden Gesellschaft, die im Begriff ist, im Sumpf von Korruption und Bestechung zu versinken, einem Sumpf, der im Bauplatz des Forschungszentrums – unter dem Moor – eine landschaftliche Entsprechung erfährt. Das Schwarz des Moores findet sich als Farbe im "Moa" ("Mohr") ebenso wie in Dr.in Elisabeth Mur, einer Medizinerin des Forschungszentrums, als Süßspeise ("Mohr im Hemd") und im Moor selbst, in dem schwarzer Torf entsteht: Pflanzen, die nicht vollständig vermodern, nur halb abgebaut werden und in der Tiefe weitergären. An diesem Ort des Verwesens und Vermoderns findet im "Good Life Center" mit einer Verjüngungskur die Transformation des Menschen statt.

Wie fasst man eine Wirklichkeit, die längst schon zur tragischen Satire geworden ist, in einen literarischen Text? Was, wenn man sprachlich nicht mehr überhöhen kann, weil die Realität die Satire übertrifft? Schauplätze, Figuren, Geschichten, Intrigen, Korruption – sie alle lassen Bilder aus den täglichen Nachrichten aufsteigen. Olga Flor verdichtet eine Fülle von Szenen, Bildern und Details in einer sehr knappen, präzisen Sprache voller "Business" Vokabular, die im Gegensatz zu den mit nur wenigen Strichen charakteristisch gezeichneten stereotypen Figuren steht. Sie gräbt sich damit durch den Morast einer bösen Politsatire, bis sie die braune Torfschicht erreicht, gräbt die halb vergorenen Gewächse aus, holt sie an die Oberfläche ihres Textes und lässt sie dort, ihrer lebendigen Schicht beraubt, verwesen. Anstatt einer ausladenden Ausbreitung aller Verästelungen und Verwicklungen geht die Autorin sprachlich und in ihrer Erzählhaltung auf Distanz und lässt die Protagonisten sich in ihrer biederen Korruptheit entlarven. Wie schon in früheren Texten – in "Talschluss" war es ein enges Tal, in "Kollateralschaden" ein Supermarkt – wählt sie mit einer Provinzgemeinde auch hier einen Ort, der kein Entkommen zulässt, einen Ort, an dem die Bürgermeisterin schließlich beim Anblick des Präsidenten "einen Akutorgasmus inklusive Kreislaufkollaps" erleidet und spontan "in den Hofknicks" fällt, worauf nach einem allgemeinen Niedersinken das Moor ein paar "braunstichige Gase" entlässt.

Zweimal bricht Olga Flor aus dem verdichteten Erzählen aus: In einer sich über zwei Seiten erstreckenden Fußnote wird an zentraler Stelle der Rassismus der Gemeindebürger ausgebreitet. Und ganz zu Beginn des Textes ist es ein Tautropfen auf einem Blatt, "noch sommergrün, von Adern durchzogen, die im Gegenlicht dunkler waren als der fein strukturierte Rest und streng nach außen hin verliefen, um die Zellen mit Nährstoffen zu versorgen bis zum gezackten Blattrand, an dessen Spitze ein Tautropfen hing", in dem sich die Welt spiegelt, die Olga Flor in Folge vorstellt. Die sorgfältige Beobachtung dieser Szene, das Widerspiegeln der nun folgenden Erzählung mag an den Beginn von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" erinnern, bei dem es ein meteorologischer Umstand ist, an dem sich das Ende von "Kakanien" abzeichnet. Musils "Parallelaktion" verpflanzt Olga Flor in die österreichische "Provinz ohne Eigenschaften" – und lässt auch das republikanische Österreich in einem apokalyptischen Tanz seinem Ende entgegenstolpern. Am Ende fällt der Wassertropfen "fett und faul". "Man könnte sagen, es sei nichts passiert."

Eva Maria Stöckler
02.03.2021

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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