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Eva Maria Gintsberg: Herr Klein.

Roman.
Innsbruck: edition himmel bei Limbus, 2021.
180 S.; Hardcover mit Farbschnitt; EUR 19,-.
ISBN 978-3-903667-01-3.

Eva Maria Gintsberg

Leseprobe

Manchmal geschieht es im Leben, dass zu einer lang schon Beruf gewordenen Begabung eine weitere erst zeitversetzt entdeckt wird: die Tiroler Bühnenschauspielerin und Rezitatorin Eva Maria Gintsberg, Jahrgang 1966, hat sich in der vergangenen Dekade im Zusammenhang mit eigenen literarischen Vorleseprogrammen und ihrem späten Studium der Germanistik von 2012-2018 auch zu einer bemerkenswerten Schriftstellerin entwickelt. Dabei ist es für ihr Lesepublikum sehr angenehm, dass ihre Literatur weder von trockenem Akademismus noch von irgendeiner progressiven Schreibschulenhandschrift geprägt wird. Ihr erster Erzählband, "Die Reise", fand letztes Jahr in der seinerzeit neu gegründeten und vom Innsbrucker Limbus-Verlag vertriebenen "edition himmel" eine herausgeberische Heimat, und nun erschien jüngst ebendort auch ihr Romandebüt, geschmackvoll präsentiert in dunkelrotem Leineneinband mit Ton-in-Ton-Prägung und grünem Schnitt.

"Herr Klein" könnte eigentlich auch "Die Herren Klein" heißen, denn so ganz klar ist es nicht, ob es sich um einen oder zwei Protagonisten handelt. Der eine ist ein verliebter Flaneur, der ein Faible dafür hat, auf Bäume zu klettern und mit Kirschkernen zu spucken, der andere ist ein offenbar wohlhabender schrulliger Bücherwurm im Rollstuhl. Doch träumt nicht vielleicht einer die Rolle des anderen? Und welche Rolle spielt die Ich-Erzählerin, die in der Villa des Bücherwurms als Vorleserin und Bibliothekarin angestellt wird und vom ersten Tag an die surrealen Geschehnisse und Personenkonstellationen einzuordnen versucht, mit denen sie konfrontiert wird? Während der Flaneur gegen eine partielle Demenz kämpft, eine rätselhafte rundliche Venus verehrt und seine früh verstorbene Großmutter vermisst, verschwindet der Bücherwurm immer wieder unangekündigt für längere Zeit von der Bildfläche, hat offenbar eine ungeklärte Verbindung zu der Nachbarin Luise und ihrem Sohn Oskar und einen Goldfisch namens Friedrich, den er im Brustton der Überzeugung als Hasen bezeichnet. Des weiteren treten unter anderen auf: eine unglücklich in den Flaneur verliebte Trafikantin, ein unglücklich in die Trafikantin verliebter Postbote, ein stattlicher Herr im weißen Leinenanzug, der der Großmutter den Hof macht, die verstorbenen Eltern der Ich-Erzählerin, die deren Handlungen ungebeten und kritisch auf russisch kommentieren. Und das ist bei weitem noch nicht das gesamte skurrile Personal dieses Romans.

Der Flaneur Klein reist auf der Suche nach seiner Großmutter in den Süden, landet in Venedig und erlebt dort einen denkwürdigen Zwischenfall nach dem anderen. Parallel dazu versucht die Ich-Erzählerin, das Geheimnis des Bücherwurms Klein zu ergründen. Eines Tages ist Luises Sohn Oskar spurlos verschwunden – was hat es damit nun wieder auf sich?
Es ist mitunter, als würde ein literarischer Polizist dem interessierten Publikum am Ort des Geschehens zurufen, man möge doch bitte weiterlesen, einfach weiterlesen – hier gebe es nichts zu verstehen. Und dieser Aufforderung kommt man eingedenk des locker perlenden Schreibstils jederzeit gerne nach. Auch sind die Motive der Handlung fein miteinander verwoben, begegnen einander und uns Lesenden immer wieder, wenn niemand sie erwartet, so etwa ein immer wieder gelesenes Buch mit blauem Einband, ein ausradiertes und stets neu zu lösendes Kreuzworträtsel oder die Großmutter von Herrn Klein, die mal als alte Frau und mal als kleines Mädchen auftritt. Gintsberg treibt eine wohlstrukturierte und hintergündige Scharade mit ihren Lesenden, lässt die Figuren sich und die Handlung mitunter gar selbst hinterfragen: Konnte man zwischen Geschichten herumspazieren, aus- und eingehen, wie es einem gerade in den Kram passte? (S.120).

Die Story mit all ihren subtilen Wendungen, die sich nur scheinbar nicht zusammenfügen wollen, mäandert durch Zeit und Raum, die erzählerischen Hauptstränge um die vermeintlich beiden Herr Kleins miteinander verknüpfend und am Ende tatsächlich auch ineinander auflösend. Gintsberg findet mit ebenso nur scheinbar leichter Hand ihre Geschichte: in Wahrheit ist diese minutiös und kunstreich konstruiert. Ihr Zauber besteht darin, dass man ihr dies zu keinem Zeitpunkt der Lektüre anmerkt und dass auch am Schluss viele Fragen offenbleiben, viele Fäden so oder auch anders verknüpft worden sein könnten. Von solcher Literatur lässt man sich gern ein wenig foppen, zum Besten halten – denn genau das ist das Gefühl, das sich einstellt, sobald man das Buch zugeklappt hat und auf dem Einband die Gattungsbezeichnung "Roman" liest, so als könne es sozusagen auch ein "Namor" oder ein "Ramon" sein, durch den einfachen Willen der Autorin anagrammatisch umgestellt und uns dennoch verständlich, jedoch ohne einen letztgültigen Sinn, eine einzige unumstößliche Interpretationsmöglichkeit des Geschehens erkennbar werden zu lassen. Eva Maria Gintsberg ist ein märchenhaftes Buch des Surrealen gelungen, welches bis zum Schluss seine Geheimnisse nicht vollkommen preisgibt und wie vielleicht alles wirklich Literarische keine Antworten bereithält, sondern auf die Schönheit der Fragen vertraut.

Rezension von Marcus Neuert, 11. Oktober 2021

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser/innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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