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Sibylle Schleicher: Die Puppenspielerin.

Roman.
Stuttgart: Kröner Verlag,
Edition Klöpfer, 2021.
272 S.; geb.; 22,70 Euro.
ISBN 978-3-520-75601-5.

Sibylle Schleicher

Leseprobe
 

Zu zweit, allein

Mit einem Zwilling an der Seite kann einem nichts passieren, sagt Sarah. Zu zweit war alles halb so schlimm und doppelt so schön.

Ein Satz eher zu Beginn des Romans "Die Puppenspielerin" von Sibylle Schleicher. Die aus der Steiermark stammende Autorin ist ausgebildete Schauspielerin mit Engagements in Graz, Darmstadt, Kiel und Berlin, von 2001 bis 2015 war sie Ensemblemitglied des Theaters von Ulm an der Donau, in der Nähe von Ulm lebt sie noch heute. "Die Puppenspielerin" ist ihr dritter Roman. Ihr Debüt "Das schneeverbrannte Dorf" erschien vor einundzwanzig Jahren im Innsbrucker Haymon Verlag und wurde mit einem Preis des Aachener Literaturforums ausgezeichnet.

Das Zwillingsmotiv ist ja in der erzählenden Literatur beliebt als Spiegelung, Abspaltung, Verdoppelung, als Zeichen eines inneren Bandes, von der europäischen Romantik bis zur Phantastischen Literatur der Gegenwart, man denke an die zwei Weasleys in J. R. Rowlings Harry Potter-Bänden, in der anspruchsvolleren Belletristik an Sasha Maria Salzmanns "Außer sich" (2017), an Helmut Kraussers "Nicht ganz schlechte Menschen" (2012) oder an Sam und Eric in William Goldings "Herr der Fliegen" (1954). Ein klassisch-modernes Beispiel aus der Kinderliteratur wäre Erich Kästners "Das doppelte Lottchen". Erst recht die Psychologie hat sich der sehr speziellen, bereits vorgeburtlich ausgebildeten Beziehungsdynamik von Zwillingen angenommen.

Sarah und Sophie heißen die Zwillinge in Sibylle Schleichers Roman. Von Kindheit an verbindet sie Besonderes, eine eigene Phantasiespielwelt; und eine besondere Leidenschaft, die sie später zur Profession machen, das Puppenspiel. Sophie ist die Autorin der Stücke, Sarah fertigt die Puppen an, schnitzt, modelliert, kleidet sie ein.
Dann, inzwischen sind beide Anfang Vierzig und haben Familie, wird Sarah schwer krank, so sehr, dass sie nicht mehr spielen kann. Durch die lange Suche nach einer richtigen Diagnose und einer erfolgverheißenden Behandlung wird sie von der ganzen Familie begleitet, besonders von Sarah. So wird dieser Zwillings-, Schwestern- und Krankheits-Roman zum Familien-Roman. Zu einem Buch, in dem die engsten Verwandten da sind für einander, vor allem für die Schwerkranke, in Phasen von Verzweiflung und Wut, von Überforderung auf beiden Seiten. In Zeiten tiefschwarzer Befürchtungen, jäh reduzierter Wünsche und der alles überragenden Sehnsucht nach Normalität und Gesundheit.
Schleicher gelingt zudem eine eindringliche Variation des Romans als humanes Erinnerungsvehikel. Denn in der Krise werden Erinnerungen – gute, schöne, wärmende – umso wichtiger. "Die alten Geschichten aufwärmen", heißt es einmal. "Eigentlich wärmen nicht wir sie auf, sondern sie uns. Sie haben noch so eine Kraft. Lebendige Erinnerungen, egal, wie nah sie an der Wahrheit liegen. Die Kindheit ein Brunnen, der nicht versiegt." Auch wenn das letzte Bild ein wenig zu schwer, stilistisch zu elaboriert anmutet und dem Lektorat durchgerutscht sein dürfte, fällt ein anderes, typografisch raffiniertes erst nach und nach während der Lektüre auf: Die Dialoge sind ohne Anführungen gesetzt und signalisieren so auch eine wattierte Distanz zur Welt. So glücken Schleicher unter die Haut gehende Passagen in diesem Roman über Angst und das Bannen der Angst durch Benennen, Beschreiben, durch Literatur also, deren Nukleus ja allezeit das Um-Deuten, das Um-Erzählen war:


In der Erinnerung war alles schön, und wenn wir unsere Geschichten weitererzählen, müssen sie immer irgendwann lustig werden. Man erinnert sich das so hin, wie man es am liebsten gehabt hätte, aber es war oft ganz anders.

Eine sensible Meditation über das, was zählt, wenn ein Leben sich einem zu frühen Ende zuneigt, das ist "Die Puppenspielerin".
 

Alexander Kluy, 07. Dezember 2021

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser/innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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