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Bernhard Strobel: Nach den Gespenstern.

Erzählungen.
Graz, Wien: Literaturverlag Droschl, 2021.
176 S:, geb.; EUR (A) 20.00;
ISBN: 978-3-99059-086-7.

Bernhard Strobel

Leseprobe

Mit Nach den Gespenstern legt der im Burgenland lebende Autor Bernhard Strobel seinen mittlerweile vierten Erzählband vor: eine geschliffene Prosa, die, wie auch seine vorhergehenden Texte, in höchster sprachlicher Qualität ihre semantischen Fangeisen auswirft, um die Leser*innen mittels Beschreibungen jener un-/heimlichen Alltagssituationen zu verunsichern, die ihnen aus ihrem eigenen Leben nur allzu vertraut sein mögen. Übernatürliches, im Sinne des Schauerromans, suchen die Leser*innen hier allerdings vergebens. Denn, wie es in einer Erzählung heißt, hier gibt es: „Keine Gespenster, keine Schreckmomente, kein Gruseln.“

Zuletzt ist 2018 Strobels erster Roman Im Vorgarten der Palme erschienen, eine zeitlose Abrechnung mit der Vorstadt- und Ehehölle, seitdem (und bereits davor) hat er sich als Übersetzer hervorgetan. Für seine Übertragungen von norwegischen Autoren wie Bjarte Breiteig, Tor Ulven und Jan Kjærstad ist er im Vorjahr mit dem Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung ausgezeichnet worden. Für seine „herausragende Leistung, schnörkellos-lakonische wie fabulierend-mäandernde Texte in ihrer jeweiligen Vielschichtigkeit, Experimentierfreudigkeit und sprachschöpferischen Kraft einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen“, so ist es in der Begründung der Jury zu lesen.

Strobels neue Erzählungen führen die Leser*innen in unheimliche Regionen, die uns als Nachbar- und Verwandtschaft, Familie oder Beziehung bekannt sind, und zeigt, was sich hinter den eintönigen Fassaden von Einfamilienhäusern oder Paarbeziehungen verbirgt. Es sind eben aus dem Alltag gegriffene Situationen, die Strobel mittels weniger Sätze skizzenhaft zu dichten Zustandsbeschreibungen und emotionalen Gemengelagen zwischen seinen Figuren verwebt. Denn er versteht es meisterhaft, Stimmungen zu erzeugen, und bereits die erste, den Band eröffnende Erzählung „Über Geister“, ist ein Lehrstück in Verunsicherung, das man als Studie über einen verwitweten, dem Voyeurismus frönenden Mann ebenso lesen kann wie als Krimierzählung: Der Nachbar, den der Mann beim Einstieg in das eigene Haus beobachtet, steht in Zusammenhang mit dem Tod seiner Frau und zuletzt scheint er selbst als Verdächtiger in ein Verbrechen verstrickt zu sein. In der dem Band seinen Titel gebenden Erzählung führt ein Theaterabend und das Missverstehen des klassischen Stücks von Ibsen zu einer Beschreibung von toxischer Männlichkeit und einem daraus resultierenden, mutmaßlichen Gewaltakt.

Im Verlauf der Lektüre fühlt man sich an die Ausführungen des britischen Schriftstellers Mark Fisher über das Gespenstische erinnert, welches stets das Unbekannte betrifft und ein damit in Zusammenhang stehendes Gefühl der Andersheit mit sich bringt, eben ein Gefühl, dass das Rätsel – und vieles in Strobels Short Stories bleibt dunkel – mit Formen des Wissens, der Subjektivität und des Empfindens zu tun hat, die jenseits unserer gewöhnlichen Erfahrung liegen. Und gerade darin liegt die große Stärke der Erzählungen. Die Texte – in vielen spielt auch der Tod bzw. die Erfahrung des Verlusts eine wesentliche Rolle – muten wie Vexierbilder oder Rätsel an und es bleibt den Leser*innen überlassen, auszulegen bzw. zu interpretieren, was da passiert ist. Das macht nicht nur den Reiz der Erzählungen aus, sondern regt auch zur Relektüre an. In den dreizehn Erzählungen, die in diesen faktenverweigernden Zeiten auch ein Spiel mit dem Aberglauben oder folkoristischen Vorstellungen evozieren, wird alles nur angedeutet, meistens bedarf es lediglich einer Kleinigkeit, um die Handlung ins Rollen zu bringen, die Erzähler bleiben, ebenso wie die Situationen die sie beobachten, unzuverlässig. Figuren belauern einander, wie in „Die Tür“, wo der nur angedeutete Selbstmordversuch einer jungen Frau ein spannungsgeladenes Schweigen unterbricht. Virtuos wird in „Alte Karten“ mit dem romantischen Topos des Doppelgängers, hier eigentlich eine Doppelgängerin, gespielt, durch den Austausch der Idiome („Kopie“, „Double“) wird der Begriff ad absurdum geführt.

Ebenso wie den US-amerikanischen Schriftsteller Raymond Carver kann man Strobel dem literarischen Minimalismus zurechnen, dessen Texte bis an die Grenze des Verstummens reichen. Dieses Verstummen ist auch eine Propädeutik des Gespenstischen, in dem Sinne, dass das, was uns heimsucht, sichtbar wird, bzw. wir lernen müssen, mit dem „Gespenstischen“ zu leben. Die in den Erzählungen herumgeisternden Figuren werden nicht psychologisiert, was eine andere große Stärke der Text ist, ebenso, dass sie die Leser*innen, wie das oft in schreibschulkonformer Prosa exerziert wird, nicht an der Hand nehmen. Eine beunruhigende Prosa, die ihre Leser*innen immer wieder heimsuchen wird.

Stefan Maurer, Februar 2022

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser/innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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