Dort saßen immer die Klemmschwestern, wie sie nur halb oder auch gar nicht liebevoll genannt wurden, vorwiegend Männer, die entweder zu bequem oder manchmal auch aus verständlichen Gründen zu feig waren, zu ihrem Schwulsein zu stehen oder es in die Öffentlichkeit der Ringstraße zu posaunen. Die auf der Ringstraße straften die im Landtmann mit hochmütiger Verachtung und trugen neben ihnen ihr eigenes Schwulsein wie die schönste geklöppelte Goldhaube in einem bäuerlichen Trachtenumzug vor den mittellosen Mägden zur Schau. Und die im Landtmann erfanden die verschiedensten Ausreden, häufig snobistische Distanzierungen oder vorgeschobene Indispositionen, um sich vor dem Stigma der Feigheit und also vor sich selbst zu retten. Hier wurden Engagement und Selbstbewußtsein zu Stilfragen gemacht oder auch höhere gesellschaftspolitische Ziele den einfachen Botschaften des CSD vorgeordnet und in kleinen Tischrunden einvernehmlich besprochen. Nun hatte sich auch dort Unruhe breit gemacht, einige der Männer waren aufgestanden, schauten fragend hin und her, warum der ausgelassene Zug denn stehen geblieben war. Eine junge Frau mit langen roten Haaren rannte an uns vorbei, mitten in den Gastgarten, auf einen Tisch mit vier hemdsärmeligen Männern mit Sonnenbrillen zu.
© 2001, Argument Verlag, Hamburg. Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.