So weit ich auch gereist bin, bis zum Leuchtturm von Sulina bin ich nie gelangt. Eine merkwürdige Scheu hat mich stets umdrehen, abzweigen, innehalten lassen, ehe ich das Donaudelta mit seinen unzähligen Seitenarmen erreicht hätte. Dort, wo sie immer langsamer fließt und unüberschaubar breit geworden ist, ihre vom Schwarzwald auf 2888 Flusskilometer gesammelten Wassermassen nur mehr träge weiterrollt und ihr fließender und zurückfließender Übergang zum Meer fast unmerklich ist, ausgerechnet dort also, wo der Fluss zum Meer wird, markiert der Leuchtturm den messtechnischen Nullpunkt der Donau. Mich diesem Übergang und der Entgrenzung auszusetzen, habe ich immer gezaudert, als wäre mir dieses Überströmen, Sichverlieren im Meer der Tod, der ja am Ende aller Reisen steht und den esoterisch zur großen, letzten und wahren Reise zu verklären mich noch gar nicht reizt.
Auch das macht die Donau vermutlich einzigartig unter den Flüssen, dass ihre Kilometer-Zählung beginnt, wo der Fluss endet und sich im Meer verliert. Ende und Anfang, hier fallen sie in eins, wie umgekehrt auch im Schwarzwald, wo die Bächlein Breg und Brigach sich vereinen und die Donau ihren Weg bei einem Uferzeichen aufnimmt, das die finale Kilometer-Bezeichnung 2888 trägt, just als würde der Fluss hier, wo er entspringt, sein Ende haben und dort, wo er endet, beim Leuchtturm in Sulina, seinen Anfang nehmen.
(S. 124 f)
© 2009 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien.