LESEPROBE
Ausgerechnet auf dem Genesungsfest des französischen Gesandten Lord Tyrconnel, dessen Arzt La Mettrie war und den er in den Wochen zuvor geheilt hatte, ereilte den kleinen Bretonen sein Schicksal. Der Preußenkönig Friedrich soll noch versucht haben, La Mettrie von der Teilnahme am Fest abzuhalten, als hätte er geahnt, dass seinem Protegé Übles drohte. Oder hat er etwas gewusst, was die Biografen nicht wissen? Wie dem auch sei. Aus einer Laune oder aus purem Eigensinn heraus nahm sich La Mettrie vor, allein eine ganze Pastete zu essen, als wollte er – wie in seinen Büchern beschrieben – beweisen, dass der Mensch eine bloße Maschine sei, der man alles zumuten könne. Was es genau war, kann man nicht mehr feststellen; ob die Pastete nun vergiftet oder schlicht verdorben war. La Mettrie ging es schlecht. Der Legende nach ließ er sich nicht beirren und – entgegen wohlmeinender Ratschläge anderer – sich mehrmals zur Ader, was seinen Körper entkräftete und schließlich zum Tod führte. Die Maschine hatte aufgehört, sich zu drehen.
Voltaire konnte es sich nach dem Tod von Herrn Maschine nicht verkneifen, ihm eine kleine Spitze nachzuschicken, indem er in einem Brief anmerkte, La Mettrie habe anscheinend eine untröstliche Geliebte hinterlassen, die weder reich noch schön und daher darauf angewiesen sei, dass der König ihr eine kleine Rente aussetze.
Aber diese Pastete, warum hätte er sie wider besseres Wissen aufessen sollen? Als heimlichen Selbstmord, wie ein Zeitgenosse anmerkte? Wohl kaum. Und was stimmt eigentlich an dieser Erzählung, die längst Teil des Mythos rund um La Mettrie geworden ist und in zahllosen Variationen immer wieder erzählt wird? Sollte es tatsächlich so sein, dass La Mettrie, der Arzt, der sich ein Leben lang mit Hygiene und Krankheitsprävention beschäftigt hat, bei sich selbst auf einem, was sage ich, auf beiden Augen blind geworden sei? Unwahrscheinlich.
(Seite 17 ff.)
© 2018 Braumüller Verlag, Wien