Leseprobe:
SIE LIEGT AM RÜCKEN. Ich decke sie zu, wickle ihre Füße warm ein. An der Mauer über ihr reflektiert der Schein von der Nachttischlampe.
„Was sucht der denn hier? Bring den Jegor weg!“
Ich überwinde mich und lege meine Hand auf ihre.
„Ja, Mama, ich bring ihn weg.“
Sie dreht die Handfläche zu meiner um.
„Ich hab dich lieb“, sage ich aufrichtig, als würde ich zu meinem Spiegelbild sprechen.
Ihr Gesicht ist entspannt. Ich glaube, dass ich ein kleines Lächeln erkennen kann. Sie wälzt sich zur Seite. Das Licht ist eine raue Dunkelheit wie nach dem Abbrennen einer Kerze.
Ich lege mich auf die Couch hinter sie und warte. Ich lehne mich zurück. Nur kurz liegen, nur bis sie eingeschlafen ist, gleich wird sie schnarchen. Die Wolldecke dampft staubig, klebt sich an die Nasenwände, bis hinauf in die Augenhöhlen. Die Wände beugen sich. Sie kriechen auf mich zu.
Hinter mir spüre ich einen etwas größeren Mann, ganz nah. Ich stelle mir seine Form vor wie ein leeres Gefäß, eine leere Kiste. Ich vertraue ihm. Ich nehme allen Mut zusammen, mich einzulassen, drehe mich um und sehe ihm in die Augen. Der gelbliche Nebel, der anstelle seines Gesichts flirrt, verpufft. Der Nebelmann löst sich auf, geht zurück in die Wände, aus denen er gekommen ist. Ich sehe, dass da hinter mir niemand mehr ist, außer einem winzigen, dunklen Käfer. Er sitzt an der Lehne der Couch.
(S. 145 f)
© Kremayr & Scheriau, Wien 2016.