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Wolfgang Hermann: Walter oder die ganze Welt.

Leseproben:

Wie es kam, dass Walter in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt und berühmt wurde? Schuld daran war eine Straßenkreuzung. Schuld daran war, dass jedes Auto im ganzen Land von dieser einen Kreuzung angezogen wurde wie von einem Magneten. Schuld daran war der Straßenverkehr, Schuld war jeder einzelne Autofahrer. Und es wurden von Jahr zu Jahr mehr. Der ganze Verkehr von Süd nach Nord, von Nord nach Süd kam in diesem Tal an einer einzigen Kreuzung zusammen, und die lag vor der mächtigen Kirche Sankt Martin. Im Zentrum der Kreuzung stand eine Trommel, rot-weiß kariert wie weiland die Trommel, die im Felde den vorrückenden Soldaten die Angst aus den Gliedern trommelte. Und auf dieser Trommel stand Walter. Aber Walter stand nicht nur da, er dirigierte das große Orchester der Autos, die aus allen vier Himmelsrichtungen Einlass begehrten auf den Platz der Himmlischen Ordnung vor Sankt Martin, von wo möglicherweise Gott herabsah auf seine Kinder, die nach Walters Pfeife tanzten, auf der er nur selten pfiff, dann aber ordentlich. Walter war kein großer Pfeifer, er war ein großer Redner. Er redete mit seinen Schützlingen am Steuer, die wie gebannt auf jede seiner Armbewegungen starrten und auf den Augenblick warteten, in dem Walter sie zu sich rufen würde. Der Augenblick kam, wenn Walter sich seitlich drehte und seinen redlich auf der Trommel erarbeiteten Trommelbauch zeigte. Er schaute dann seinen wartenden Schützlingen ins Auge, während er rief: Komm, Moatle, komm!
(S. 15 ff)

Seit Walter zum Bilderseher geworden war, sah er seine Stadt mit neuen Augen. So verwundbar, so zerbrechlich lag sie da in der Tiefe ihrer Jahre. Ja, die Stadt war nicht nur in der Horizontalen ausgebreitet, sie war auch ein Gebilde, das sich lotrecht durch die Zeit bewegte, wenn auch scheinbar nur in eine Richtung, doch es war, das hatte Walter gelernt, nur eine Frage der Öffnung der inneren Schleusen, schon reiste man rückwärts. Was er dort sah, hatte er mit den Jahren, in denen er seine Familie gründete, sein Haus baute, seine Kinder heranwachsen sah, vergessen. Nun erst verstand er, wie lebendig und wirkungsmächtig die Vergangenheit in dieser Stadt war. Hatte nicht eben der Anton Plankensteiner, den er auf dem Marktplatz mit sich überschlagender Stimme wie im Wahn Heil Hitler! hatte brüllen hören, einen von Walters Vorgängern, Hugo Lunardon, den ehemaligen Kommandanten des Polizeipostens, der sich um die Bekämpfung der illegalen Nazis vor dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich verdient gemacht hatte, verhaften und der Gestapo übergeben lassen? Hugo Lunardon wurde im KZ Mauthausen zu Tode gequält. Plankensteiner, unmittelbar nach der Machtübernahme zum Landeshauptmann ausgerufen, hatte auf die Gnadengesuche von Frau Lunardon geantwortet, es könne ihrem Gatten nicht schaden, wenn er ein paar Wochen da drinnen, im KZ nämlich, säße.
War dieses Verbrechen, dieses und alle anderen Verbrechen, je gesühnt worden? Nein, die Nazis und die Denunzianten saßen nur wenige Jahre nach dem Krieg in Amt und Würden – wenn auch Plankensteiner, nach einer Amnestie frühzeitig aus der Haft entlassen, nur als kaufmännischer Angestellter Arbeit fand –, besetzten die Schaltstellen des Landes (wie die des Landesamtsdirektors mit dem Fanatiker der Alemannenideologie, die des Chefredakteurs der einflussreichen Monopol-Tageszeitung mit dem Leitartikler des NS-Propagandasenders) und stellten über Jahrzehnte die Zeit still.
Die Stadt war also nicht im Gleichgewicht, das war nur ein Traum. Einer von vielen Träumen, die alle nebeneinander geträumt wurden. Träumten die Jungen ihren Indien- und Erlösungstraum, weil kein Platz für sie in diesem Land war? Was sollte ein junger Mensch in diesem Land anderes tun, als sich wegzuträumen? Neben den harmlosen Träumen dieser jungen Romantiker wurden andere, härtere Träume geträumt, und die Wirklichkeit, so wie sie war, war die betonierte Summe der harten Träume.
(S. 83 ff)

© 2020 Limbus Verlag, Innsbruck

 

 

 

 

 

 

 

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