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Gabriel Barylli: Echtzeit.

Roman.
München: Langen Müller, 2009.
176 S.; geb.; Eur(A) 17,45.
ISBN 978-3-7844-3171-0.

Link zur Leseprobe

Der neue Roman von Gabriel Barylli beginnt ohne Exposition. Es ist noch früh, erst vier Uhr morgens. Susanna sitzt in ihrem Zimmer, in einem schmucklosen Wohnblock am Stadtrand, und spricht zu ihrer Freundin Isabell. Genau genommen spricht sie in ein Mikrophon, das an ihren Computer angeschlossen ist, der ihre gesprochenen Sätze in eine E-Mail verwandelt und an ihre Freundin weiterleitet. Denn Isabell ist fort, sie ist mit ihrem Mann Stefan in eine andere Stadt gezogen.

Susanna schreibt ihr, dass sie sie sehr vermisst, dass sie sich einsam fühlt. Sie schwelgt in der Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit, als sie zusammen in Urlaub fuhren, abends ausgingen, bei Kaffee und Kuchen stundenlang beisammen saßen. Wehmütig denkt sie an diese unbeschwerten Tage zurück, sie war glücklich, verliebt, lebenslustig.

Doch dann geschah das Unerhörte und alles ging in die Brüche. Susanna verlor ihre Freundin, den Mann, den sie liebte, ihre Arbeit und schließlich ihre Wohnung. Und niemand war da, der sie auffing, keine Familie, keine Freunde, keine Nachbarn.

Zunächst versucht sie, sich zu wehren, sie sucht Hilfe bei einem Psychoanalytiker, liest Lebenshilfebücher, C.G. Jung, Laotse und Thomas von Aquin und wenn sie dennoch die Verzweiflung zu übermannen droht, spendet Cognac Trost. Schleichend jedoch verliert Susanna jeglichen Bezug zur Normalität, sie zieht sich völlig von ihrer Umwelt zurück. Einzig über das Internet pflegt sie noch Kontakte, sucht im Schutz der Anonymität nach einem neuen Partner und wird stets aufs Neue bitter enttäuscht.

Allmählich tun sich Abgründe auf, die Fassade bröckelt, schiefe und falsche Töne trüben den heiteren Schwung von Susannes Erzählung, hinter ihren neckischen, scherzhaften Kommentaren wird eine tiefe Verzweiflung spürbar. Die Verzweiflung einer Frau, die den Boden unter ihren Füßen verloren hat, die keinen Halt mehr findet, keinen Mut, keine Hoffnung mehr hat.

Dieser endlose Monolog, den sie ihrem Computer diktiert, in der vergeblichen Hoffnung, Isabell könnte ihr vielleicht diesmal antworten, er ist ein letzter Hilfeschrei. Wenn sie sich ausloggt und den Computer herunterfährt, ist die letzte Verbindung zu den anderen, zum Leben, gekappt. Und das Buch zu Ende.

Der Leser wohnt dem Abgesang Susannas in "Echtzeit" bei. Er kann sich ihrem letzten Appell nicht entziehen, wird hineingezogen in ihr Leben, das im Grunde nicht ungewöhnlich ist, nicht besonders, auch nicht besonders tragisch. Susanna ist eine junge Frau wie viele andere. Gerade die Alltäglichkeit ihrer Erfahrungen könnte das Buch zu einem verstörenden Zeugnis der Fragilität jeder Existenz machen, zu einer Warnung an alle, wie schmal der Grat zwischen Leben und Scheitern ist.

Doch das Buch verspielt dieses Potential, da seine Hauptfigur und Erzählerin zu schwach ist. Susannas Monolog weckt kein Mitleid oder Verständnis, sondern Irritation und Ungeduld. Irgendwann hört man auf zu zählen, wie oft sie ihre Sticheleien mit der enervierenden Floskel "Kleiner Scherz" zurückzunehmen sucht. Noch so ein "kleiner Scherz" und auch das letzte bisschen Empathie für Susanna weicht dem starken Bedürfnis, ihr das Wort abzuschneiden: Könntest du bitte endlich still sein, bitte!

Martina Wunderer
19. August 2009

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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