logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Leseprobe: Gert Jonke - "Es singen die Steine."

ZWEITE SZENE
IM ZIMMER DES GASTHAUSES

Wildgruber
(liegt auf dem Bett) Ich sage "Kind". Doch warum bleibt mir dennoch dieses Wort nur Wort, anstatt zu einem Kind zu werden? Der Wirt ist ganz verrückt aus Trauer um den Sohn, doch sag ich "Sohn", dann bleibt es nur ein Wort, das eher klingt wie "ohne", weil dieses O den Anfangsbuchstaben S verleugnet. Und dann kommt mir die Frage, bin ich einmal ein Sohn gewesen? Und wenn ich Sohn war, wessen Sohn war ich? Es ist die Wut darüber, was mir fehlt, mich daran zu erinnern, was ich meines Wissens nie gewesen sein kann. Das Wort "warum" hab ich mir ohnedies schon längst verboten. Wenn ich Menschen treffe, die einander Erinnerungen erzählen und mich auffordern, auch mich zu erinnern, dann vereist in jenem Zimmer meines Kopfes, in dem das Erinnern wohnen sollte, die Leere zu schwarzen Gletschern. Zum Glück gelingt es meinen Blicken, ganz weit aus meinen Augen hinauszufliegen, wie jetzt zum Beispiel aus dem Fenster. Aber jetzt bleibt mein Schauen leider schon wieder hängen. [...]
(Zaungauler betritt das Zimmer und überreicht Wildgruber einen Brief. Wildgruber, der noch nie einen Brief bekommen hat, weiß eigentlich nichts damit anzufangen. Am unteren Rand des Fensters erscheint der kleine Kopf eines Kindes, von dem sich später herausstellen wird, daß es Wildgruber II ist.)
Ein Brief von mir an mich. Was sollte ich mir eingeschrieben und expreß mitzuteilen haben, und noch dazu hingekritzelt, als müßte ich das Schreiben mühsam erst erlernen? Als hätte jemand das Gekritzel dieses Kindes, das ich nie gewesen bin, für meine Augen fälschen wollen.
(Er will ihn wegwerfen.)

Kind (Wildgruber II)
Ich bitte, mich nicht wegzuwerfen. Ich höre mich oft, ich weiß von mir, obwohl ich nicht weiß, wo es mich nocht gibt. Und zwar bin ich noch ganz woanders und weiß, daß ich mich immer vorauswerfe wie einen Stein, mit dem ich meinen unsichtbaren Rücken oder meinen Kopf beziele, sehe aber nichts von mir und kann mich gar nicht treffen.

Wildgruber
(weinend) Ich höre mich. Endlich höre ich auf mich. Es ist so unzumutbar schmerzhaft. Ich bin ein Mann, dessen Kindsein sich soeben jetzt unerreichbar fern von mir zuträgt, statt vor Jahrzehnten.

(Wildgruber schaut zum Fenster, um sich noch einmal zu sehen. Statt sich sieht er Heckenrosa durchs Fenster steigen.)
(S. 45ff.)

(c) 1998, Residenz, Salzburg, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt - online

Mi, 13.01.2021, 18.00–20.00 Uhr online-Schreibwerkstatt für 14- bis 20-Jährige Du schreibst und...

Grenzenlos? (Literaturedition Niederösterreich, 2020) - online

Do, 14.01.2021, 19.00 Uhr Buchpräsentation mit Lesungen Die Veranstaltung kann über den Live...

Ausstellung
Claudia Bitter – Die Sprache der Dinge

14.09.2020 bis 25.02.2021 Seit rund 15 Jahren ist die Autorin Claudia Bitter auch bildnerisch...

Tipp
LITERATUR FINDET STATT

Eigentlich hätte der jährlich erscheinende Katalog "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,...

OUT NOW flugschrift Nr. 33 von GERHARD RÜHM

Die neue Ausgabe der flugschrift des in Wien geborenen Schriftstellers, Komponisten und bildenden...