Ein Leser, der bis zuletzt durchhalten und nicht am Ende dieses verstrickte Gewirr von Mitteilungen und Textfragmenten zornig vom Tisch gewischt oder jedenfalls resignierend still zur Seite gelegt haben will, sollte erfahren, wer hier berichtet und wer mal sie ist und mal ich ist und letztendlich was für einer ICH ist.
Nicht dumme Heimlichtuerei veranlasst mich, dem neugierigen und verständnisbereiten Leser die ganze Wirrsal unaufgelöst und unerklärt vor die witternde Nase zu setzen. Ich bin selbst etwas ratlos und sehe mich in diesem Wort- und Satzgeröll von beiden Beinen gerissen und abgestürzt. Aber ich will nun endlich vernünftig anfangen und die Lage zu erklären versuchen.
Sie und ich ist, wie man im Roman sagt, die Hauptperson, um die herum und aus der heraus alles aufgeschrieben wurde. Genau genommen eine achtzigjährige Frau auf der Endstrecke ihres Lebens. Ja, auf der Endstrecke. Manche Leser mögen denken: was interessiert mich der sterile Rest eines Lebens, wo nichts Wissenswertes mehr geschieht, wo auf jeden Schritt und jeden Atemzug bereits der Schatten des Todes fällt, mit Furcht oder ohne oder mit nur fallweiser Furcht.
Schwieriger ist zu erklären, wer ICH bin. Denn unsere, das heißt meine Existenz ist nicht allgemein bekannt, obwohl jeder lebende Mensch ungeachtet besonderer Merkmale wie Geschlecht, sozialer Stand und Sprache einen wie mich hat, genau gesagt, mit mir zusammen geboren wurde, mich aber nicht sehen oder spüren kann, mich bestenfalls manchmal ahnt. ICH bin ein Comes, eine Wesensgattung, die bei der Schöpfung nicht eingeplant war, sondern aus bestimmten Gründen als Nachtrag und Korrektur ins Leben gerufen wurde, von Gott, der bei eingehender Betrachtung seiner Lieblingsschöpfung, des Menschen, zu zweifeln begann und in Ratlosigkeit fiel. Er hatte sich dieses Wesen zwischen Gott und Tier mit Liebe und großer Erwartung ausgeformt: Lehm, angehaucht mit seinem Atem, wie man es sich vorstellt und erzählt und geschrieben hat. Gedacht als ein Geschöpf zu seiner, Gottes, Unterhaltung, denn das Leben der Natur, einschließlich der organischen, läuft ja sehr einförmig ab und langweilte bald durch seine angeschaffene Gleichförmigkeit. Gott nahm an, dass ein Geschöpf wie der Mensch, ausgestattet mit einem freien Willen, ein bisschen Unruhe, also Leben in den geordneten Kosmos bringen werde, was er ja auch bald tat. Er tat es, aber nicht wie Gott es geplant hatte, mit Neugierde und Freude sich in der Schöpfung zu bewegen, sondern mit seinen beschränkten Gaben so zu tun wie Gott selbst. Das hatte Gott nicht vorausgesehen, aber er konnte es nicht mehr zurücknehmen, da er dem Menschen nun einmal den freien Willen geschenkt hatte.
(S. 11-13)
© 2009 Jung und Jung, Salzburg.