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Fritz Widhalm: Ein Buch.

Wien: Das fröhliche Wohnzimmer, 2011.
128 Seiten, Euro 14,40
978-3-900956-96-7.

Link zur Leseprobe

„Ein Buch“ ist wie eine Cremeschnitte. Dieser als Schlusssatz der Besprechung gedachte Satz steht nun doch am Anfang. Nicht nur weil er der erste Satz beim Verfassen der Besprechung war, sondern weil Cremeschnitten auch eine entscheidene Rolle in „Ein Buch“ spielen, wie vieles in „Ein Buch“ eine entscheidende Rolle spielt, das im Leben von Fritz Widhalm eine entscheidende Rolle spielt. „das leben ist voller fritz widhalm und ein buch ist voller fritz widhalm. so einfach und kompliziert ist ein buch“ (46). Fritz Widhalm zeigt Fritz Widhalm, von den Anfängen bis zur Gegenwart: Was ihm wichtig ist, was ihn fasziniert, er lädt zu Spaziergängen ein, erzählt von seinem Umfeld, nennt und würdigt AutorenkollegInnen wie Nikolaus Scheibner, Erna Holleis und Wolfgang Helmhart, lässt die Leserin, den Leser sich zu sich an seinen Schreibtisch setzen, präsentiert die ganz privaten Dinge, speziell die besonders bedeutsamen, die er sogar unter die Bettdecke mitnimmt und auf dem Leintuch ausbreitet, also die privaten, persönlichen Schätze. „Ein Buch“ könnte somit auch „Ein Tuch“ heißen und wenn wir die vorliegende Besprechung als Cremeschnitte betrachten, die „Ein Buch“ zusammenfasst, sind wir nun mitten im Blätterteig. Doch zuerst und zuoberst kommt noch die Zuckerschicht, reserviert für Fritz Widhalms Weg- und Lebensgefährtin Ilse Kilic, der so viele Passagen gewidmet sind, dass ihr ganz bestimmt das ganze Buch „Ein Buch“ gewidmet ist.

Und mit dem zweiten Absatz tauchen wir ein in Vanille. Ein Meer aus Vanille. Die Vanille ist Pop. „pop kam aus dem radio und kroch mit mir unter meine decke. es war aufregend, mit pop unter meiner decke zu stecken. ich widerspreche mir. pop war mir angeboren. pop war meiner decke angeboren“ (53). Die Decke ist unser U-Boot, angetrieben vom stampfenden Rhythmus von „T.Rex“: Get it oooon...! Der Tiefenmesser zeigt die Jahre an: 1968, 1969, 1970, 1971. Es folgt ein wilder und leidenschaftlicher Tauchgang durch das Puddingmeer, mit Marc Bolan, David Bowie, Jobriath und einigen weiteren Musikern als Lotsen zu den bunten Riffs des Glam und ersten Auftritten mit der eigenen Band „left hand luke and the beggar boys“. Von Pop ist es nicht weit zu Popsch – kommentierte Fotos von Pöpschen in Österreich, Ungarn, Slowenien, Italien, Spanien und der Schweiz ziehen vorüber, öffentlich ausgestellte, bewunderte, geduldete, hingenommene Pöpsche von Statuen und Skulpturen: „diese ärsche stehen für peter kropotkin, der die gegenseitige hilfe zum fundament seiner anarchistischen theorie erklärte“ (...) „nein, ich laufe nicht durch die straßen auf der suche nach nackten ärschen. sie sind überall“ (36). Zur Creme gehören auch Milch und Schlagobers, die politische, bildnerische und literarische Entwicklung: „ich wurde dadaist, surrealist und situationist“ (62). Und eindickende, bindende Gelatine: die Erziehung, das Umfeld im niederösterreichischen Erlauftal, das sich manchmal auch als regelrechtes Gewehrlauftal präsentieren kann, der (zum Glück gute) Vater, die (zum Glück gute) Mutter, die Schule, der Beruf: „die tür ging auf und der beruf steckte den kopf herein“ (...) „elektroinstallateur“ (64).

Die mittlere Blätterteigschicht ist erreicht, die Gelegenheit für ein erstes Fazit: „Ein Buch“ ist sehr dicht, dabei aber locker und cremig und mit vielen interessanten Informationen aus Literatur, bildender Kunst, Film, Philosophie, Popkultur und Musik angereichert. Das Buch scheint auch das wohlüberlegte Ergebnis eines mehrjährigen Sedimentierungsprozesses zu sein, in dem jedes Wort und jeder Satz seine passende Stelle erhalten hat. Und ja, Fritz Widhalm hat recht: Black Sabbath haben den Heavy, Black und Sonstwas Metal erfunden und nicht Led Zeppelin, die gerade am Beginn ihrer Karriere viel ohne Credits geklaut haben, den Anfang von „Stairway to Heaven“ von „Spirit“, „Whole Lotta Love“ von Muddy Waters oder „Dazed and Confused“ von Jake Holmes.

Wir sind wieder im Vanillemeer. Pop ist immer noch da, Pop ist immer da, wo Fritz Widhalm ist. Pop hat Köpfchen, Hand und Fuß, ist Figur, Sprache, Vibration, Sex: „sex mit pop ist kaum vorstellbar. sex ohne pop ist kaum vorstellbar“ (52). Ein wenig mehr steuert das dottergelbe U-Boot nun weg von der Musik und hin zur Literatur, die Grenzen dürfen aber als fließende betrachtet werden, jedenfalls: „als ich ilse kennenlernte, begann das große schreiben“ (85). So ist das 17. Kapitel des insgesamt übrigens 26 Kapitel umfassenden Buches ­– neben Ilse Kilic – William Kotzwinkle und seinem fulminanten Hippie-Comic-Roman „Fan Man“ (1974) gewidmet. Fritz Widhalm nähert sich „Fan Man“, speziell der Figur „Horse Badorties“ nicht nur an, er nimmt am Roman teil und lässt ihn an sich teilnehmen und von dieser Teilnahme liegt auch eine filmische Umsetzung vor. Kapitel 20, „ichfragmente“, liest sich wie ein Mitschrift des Gedankenflusses in Echtzeit, eine Art Sekundenbuch, die Gedanken springen ohne Punkt und Komma: „guten morgen ich alleine mit rundum einer nachbarin aber immerhin es gibt geheimnisse ich muss mir bloß ein wenig die haare raufen du meine güte die zähne klappern (...)“ (79). Philosophische Selbst- und Gesellschaftsreflexionen nehmen zum Schluss des Buches hin immer mehr Raum ein: „außen, das sind die anderen. innen, das sind die anderen, die durch mich hindurchfließen“ (100).

Meeresgrund – es wird wieder härter und krustiger: Wir sind am Blätterteigboden angelangt. „die psychoanalyse ist ein gigantischer popsong. nicht mehr und nicht weniger“ (100) ­– ein Satz zum Merken und Zitieren, wie es viele Sätze zum Merken und Zitieren gibt in „Ein Buch“. Und bald sind wir auch wieder ober der Decke. Schätze wurden gehoben zuhauf. Ein besonderer Schatz befindet sich noch gegen Ende des Bandes, und zwar eine Liste mit Fritz Widhalms Lieblingssongs der Jahre 1958 bis 2005, pro Jahr zehn, ein selbstauferlegtes Diktat der Zahl, das viele weitere Lieblingssongs unberücksichtigt bleiben lassen musste. Dennoch blieb eine stattliche und ausgewogene Auswahl übrig. Und „meine lieblingssüßspeise ist die cremeschnitte“ (30). Dem ist nichts hinzuzufügen, außer eine Cremeschnitte und „Ein Buch“.

Günter Vallaster
12. Oktober 2011

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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