Lucas Cejpek: Es gibt von Ihnen eine Zyklus mit dem Titel "Die Braut Hitlers", wo Sie Hitler mit der falschen Stimme einer russischen Eva Braun besingen.
Dmitri Prigow: Hier geht es um etwas ganz anderes. Hier geht es um die russische Philosophie der Jahrhundertwende, die man Theosophie nennt und die sich um das Ewig-Weibliche dreht. Dieser Zyklus ist Teil eines Zyklus, wo ich nicht nur Frauen-, sondern Überfrauen- und Überüberfrauenlyrik geschrieben habe. Gelächter.
Lucas Cejpek: Kehren wir lieber zur Kindheit zurück! Zu Dmitri Prigow: Sie haben Ihre Erinnerungen als Genretexte bezeichnet - Zu Lew Rubinstein: gleich der erste Satz Ihres Kindheitstexts ist ein Mustersatz: "Mama hat Fenster geputzt" ist ein Satz aus dem Schulbuch.
Lew Rubinstein: Dieser Titelsatz ist natürlich kein Satz, der nur auf mich zutrifft, sondern repräsentativ ist für meine ganze Generation. Das war der Satz, mit dem man schreiben gelernt hat. Das ist ein Satz, der eine merkwürdige Eigenschaft hat: in meiner persönlichen Erinnerung ist er ganz und gar unvergeßlich, in semantischer Hinsicht ist er absolut bedeutungslos, also unsinnig. Gelächter. Dieser Satz ist natürlich ein Schlüsselsatz, er ist auch ein syntaktischer Schlüsselsatz.
Erich Klein: Wie meinen Sie das?
Lew Rubinstein: Der ganze Text ist so aufgebaut, als würde ein sieben-, achtjähriges Kind etwas Ernsthaftes sagen, etwas Ernsthaftes schreiben wollen. "Mama hat Fenster geputzt" ist außerdem der einzige Text, wo die Tatsachen, wie man so schön sagt, und die Namen authentisch sind. Auch wenn allles durcheinandergebraucht ist, ist nichts fiktiv. Es gibt einen wichtigen Satz in dem Text: "Mein Bruder sagte, daß Stalin heute gestorben ist oder an dem bekannt geworden ist, daß Stalin gestorben ist, ist der unvergeßlichste Tag in meinem Leben. (S. 59)
© 1999, Sonderzahl, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.