Dreizehn Betrachtungen
Wien: Metroverlag, 2014
192 Seiten, geb.
ISBN: 978-3993001759
Es ist eine gute Idee, zum 150. Geburtstag einer städtebaulichen Großtat wie der Wiener Ringstraße einen Gedenkband zu widmen - und das noch dazu ein Jahr im voraus. Dreizehn Autorinnen und Autoren unterschiedlichster Provenienz wurden eingeladen - wie die zwölf guten und die eine schwarze Fee aus dem Märchen.
Das Vorwort stammt vom Wiener Tourismusdirektor, und das steckte wohl den Rahmen ab und ermöglichte die edle Ausstattung in Rot-Weiß-Rot, mit Deckelprägung, zwei Lesebändchen - rot und weiß - und Farbschnitt. Das Vorwort interpretiert den Bau der Ringstraße als Audruck einer sozialen Öffnung. Das ist durchaus kühn, war sie doch eher ein Stein gewordenes Bekenntnis zu den Säulen der Monarchie: Als erstes der Ringstraßengebäude wurde schließlich die Votivkirche errichtet, als Dank für die Errettung des Kaisers vor einem Attentat.
Jedem der Beiträge ist eine historische Stadtansicht in schwarz-weiß vorangestellt, in die eine Art Notizzettel mit einem Zitat ragt. Auch diese Zitate scheinen zum Teil dem touristischen Kontext verbunden. Das merkt man allerdings erst beim Durchblättern, denn die erste Zitatstimme gehört immerhin Karl Kraus, später kommen neben Schriftstellern auch Kommunal- und BundespolitikerInnen, Industrielle und Wirtsleute zu Wort.
Vielleicht der spannendste Beitrag ist jener von Timothy Bonyhady, der in seinem Buch Wohllebengasse (dt. 2013) die Geschichte seiner jüdischen Familien aus Wien erzählte. Hier im Band beschreibt er das Haus am Stubenring mit dem Café Prückel. Es ist das Haus seines Urgroßonkels Adolf Gallias, der durch die Beteilung an Auer von Welsbachs Unternehmen zu enormem Reichtum gekommen war und u. a. Hermann Bahrs Zeitschrift Die Zeit unterstützte.
Sibylle Berg liefert eine sehr persönliche Jugenderinnerung an Wien, György Dalos eine vergleichende Ringstraßen-Begehung in Budapest und Wien. Auch J. Sydney Jones überblendet sein Ringstraßen-Erlebnis mit der Promenade seines Heimatortes, einem Stranddorf in Oregon. Nicola Lecca aus Cagliari sieht in Wien nur das Vergangene, ein "seltsamer" Ort, "wo Automobile und Leuchttafeln wie Fremdlinge" (S. 96) erscheinen. Für den gelernten Wiener ist das eine unübliche Assoziation zum Thema Ringstraße, ähnlich vielleicht wie jene von J. Sydney Jones, der im Bau der Ringstraße ein Ende der österreichischen "Festungsmentalität" als Bollwerk gegen die östlichen Barbaren sieht. Realistischer ist vermutlich die Interpretation, dass hier einfach strategisch überholte Fortifikationen einer Begradigung weichen mussten, um im Bedarfsfall, etwa von der strategisch positionierten Rossauerkaserne, große Truppenbewegungen gegen den seit 1848 eher im Inneren vermuteten Feind rasch in Bewegung setzen zu können.
Wie man Magie in die Sachertorte hineinschreiben kann, führt die japanische Schriftstellerin Mitsuyo Kakuta vor, Vivien Shotwell schreibt eine Liebesgeschichte über die beiden Architekten der neuen Oper am Ring, Eduard van der Nüll und seinen Freund August Sicard von Sicardsburg. Das ist eigentlich der einzige Beitrag, der sich auf den Bau der Ringstraße im engeren Sinn konzentriert. Schon in der zeitgenössischen Literatur war es ein auffälliges Phänomen, dass jene Generation, die mit den jahrelangen Großbaustellen der Ringstraße aufgewachsen ist, diese großflächigen Erd- und Steinbewegungen kaum thematisiert hat. Stadtflaneure wie Peter Altenberg sehen alles Mögliche, nur die Baustellen und Gerüste nicht.
Poetisch bis spannend sind die Beiträge von Radek Knapp, Michael Stavaric und Vladimir Vertlib in ihrer anregenden Mischung zwischen der Blickrichtung von außen und innen. Auf je eigene Art und Weise beschäftigen sich Vladimir Sorokin, Marlene Streeruwitz und Eva Menasse mit der "topographischen Nichtgeradlinigkeit" (S. 130) der Ringstraße. Und dass alle Beiträge von Autorinnen und Autoren nicht deutscher Muttersprache auch im Original abgedruckt sind, ist eine Art Referenz vor dem Anspruch der Stadt, Kosmopolitismus zu leben.
red
März 2014