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J. F. Dam: Die Nacht der verschwundenen Dinge.

Roman.
Wien: Deuticke Verlag, 2015.
208 Seiten, geb.; Euro 19,50.
ISBN 978-3-552-06278-8.
ePUB-Format Euro 14,99.
ISBN 978-3-552-06287-0.

Autor

Leseprobe

Der Tod eines nah stehenden Menschen löst bei vielen Menschen eine Lebenskrise aus. So auch bei Thomas. Ein Schlangenbiss in einer abgelegenen Tempelanlage in Burma tötete seinen besten Freund, Jo. Ein Tod, für den er sich mitschuldig fühlt, hatte Thomas doch Jo gedrängt, mit ihm den Tempel zu besuchen und keine Medizin mitgenommen. „Das ist vor mehr als zwei Jahren gewesen. Danach ging nichts mehr.“ Mit dieser kurzen Episode beginnt der Roman, der vordergründig eine ganz andere Geschichte erzählt. Nämlich die unmögliche Liebe von Thomas zu Helen.

Thomas ist ein erfolgreicher Architekt, der zudem als Autor über asiatische Tempelarchitektur in der Fachwelt bekannt ist. Er ist mit der jungen Modedesignerin und Boutiquenbesitzerin Christina verheiratet. Doch eines Abends, bei einem Konzertbesuch, verliebt er sich in Helen. Helen ist die Ehefrau von Michael, der nach Jo's Tod an dessen Stelle als bester Freund tritt. Der Autor verzichtet darauf zu beschreiben, was die beiden Männer verbindet. Michael ist der beste Freund, weil man eben einen besten Freund haben muss, und niemand sonst zur Stelle war.
So sind alle Personen in diesem Roman gestaltet. Jeder erfüllt seine Funktion. Der Freundeskreis, obwohl erst Anfang 30, ist gesellschaftlichen Konventionen verpflichtet, als ob sie noch in den 1950er Jahren leben würden. Ein Freund, der sich nach einer Asienreise eine Glatze rasiert hat, gilt als exzentrisch, auch wenn er sonst alle Normen einhält. Auch die Eltern werden als Personen beschrieben, die von ihren Kindern nichts erwarten, als bestimmte gesellschaftliche Standards, vor allem im Hinblick auf Finanzen und Status, zu erfüllen. Liebe, Verständnis, Zuneigung, wie sie in einer Krise so notwendig sind, kann Thomas in diesem Umfeld nicht erleben.

Nur so kann die Liebe zu Helen entstehen, die sich Thomas selbst nicht erklären kann. Vielleicht, so rätselt der Ich- Erzähler, ist es einfach nur die Art, wie Helen beim Lesen eines Konzertprogramms nachdenklich ihren Kopf neigt. Sie bleibt, wie alle Figuren in diesem Roman, ganz bewusst schemenhaft. Eine Figur, die „engelhaft“ ist, auch wenn der Autor kaum ein Wort über ihr Äußeres oder ihren Charakter verliert. So bleibt sie eine Projektion für Gefühle, die selbst kaum ein Wort sagt.
Denn J. F. Dam berichtet nicht über die Liebe von zwei Menschen, vielmehr ist es der Gemütszustand und seine Fluchten davor, die ihn an Thomas interessieren. Selbst die Angebetete weiß über weite Strecken nichts von dieser Liebe. Im Gegenteil, Thomas leidet so sehr unter der Sehnsucht nach Helen, dass er sie meidet. Er flüchtet in die Arbeit ohne die nötige Anerkennung von den Kollegen zu erhalten. Er beginnt eine Affäre mit einer anderen Frau, obwohl er von Beginn an weiß, dass es nicht klappen wird. Er flieht nach Asien und kann es doch nicht lassen, seine verwirrten Gefühle in Helen hineinzuprojizieren. Als er ihr seine Liebe gesteht, ist sie aber nicht bereit, den nächsten Schritt zu wagen. Auch sie bleibt den Konventionen in ihren Kreisen treu.
Die Auseinandersetzung mit Christina, der Ehefrau und Michael, dem Ehemann von Helen, scheuen sowohl der Romanheld als auch der Autor. Wir lesen davon nur retrospektiv in wenigen Sätzen, doch selbst hier wird nur Unverständnis und Gefühlskälte gegen einen, der nicht funktionieren will oder kann, deutlich.
So zerstört Thomas durch eine unausgelebte Liebe nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Frau, seines Freundes Michael und letztendlich das von Helen. Ein Mann, der nie gelernt hat, Liebe und Zuneigung zu leben, der in gesellschaftliche Kreise zu sehr eingebunden ist, um sich zu lösen, tötet so indirekt die Frau, die er nie wirklich lieben konnte. Eine Krise ruft die nächste hervor, weil sich Thomas seiner Schwäche nicht stellen kann.
Es ist eine Geschichte von tragischem Ausmaß, die der Autor in einer collagenartigen Weise zu erzählen weiß. Er springt zwischen den verschiedensten Orten herum – Asien, Europa und Amerika sind Stationen dieses Romans. Auch die Erzählstruktur verändert sich im Laufe des Romans mehrmals. Tagebucheinträge, retrospektive Berichte und eine E-Mail seiner Frau Christina sollen uns den Zustand von Thomas und seiner Umgebung näherbringen.

Dam verfügt über eine ungeheure Kenntnis asiatischer Kultur, die er dem Leser ganz nebenbei mitzuteilen weiß. Wenngleich sich nicht immer erschließt, was diese Schilderungen asiatischer Kultur zu der Liebesgeschichte beizutragen haben. Sehr unterschwellig zeigt er aber dadurch Lösungswege auf. So zum Beispiel, als Thomas ein berühmtes Foto von 1917 vor dem riesigen Buddha von Kamakura in Japan zum Teil mit zufälligen Passanten und sich selbst nachstellt. Auf dem Originalbild waren unter anderem Rabindranath Tagore, der erste nichteuropäische Literaturnobelpreisträger und Mirra Alfassa, auch Mother genannt, zu sehen. Alfassa, eine Jüdin türkisch-arabischer Herkunft, in Paris geboren, wurde die erste anerkannte nichteuropäische Guru in Indien. Personen, die die Konventionen und Kreise, in die sie hineingeboren wurden, hinter sich gelassen haben. Eine Chance, die Thomas zwar potentiell erkennt, aber für sich nicht in Anspruch nimmt.

J. F. Dam hat ein Buch geschrieben, das platte Eindeutigkeiten und Urteile meidet. Es ist ein in einer starken, bildreichen Sprache geschilderter Bericht über einen Menschen, der scheinbar alles hat, und dem doch das Wesentliche in seiner Umgebung fehlt, Verständnis und Liebe, ohne dass er dies selbst erkennt. Der Entwicklungsroman verharrt im Zustand des Scheiterns. Die Krise, die der Tod des Freundes ausgelöst hatte, führt so zum Tod der großen, unerfüllten, Liebe.

Spunk Seipel
18. Mai 2015

Origiginalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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