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Erich Hackl: Im Leben mehr Glück.

Reden und Schriften.
Zürich: Diogenes, 2019.
432 S.; geb.; Euro (A) 25,70.
ISBN 978-3-257-07057-6.

Erich Hackl ist ein Einzelfall. Er ist einzigartig in der österreichischen Literatur, er ist notwendig, weil ohne ihn so vieles aus der Geschichte unbeleuchtet bliebe. Und er hat die Fähigkeit, aus dem Lokalen heraus, aus dem unteren Mühlviertel, aus dem seine Eltern stammen, von Steyr aus, wo Christkindl nahe liegt, christliche Nächstenliebe aber oft ermangelt, das Universelle zu denken und eine Globalisierung nicht im Sinne des Kommerzes, sondern im Sinne internationaler Solidarität zu fordern. Arbeit, Macht, Unterdrückung, Widerstand, aber auch Solidarität, das sind die Kategorien, unter denen für ihn die Welt verstanden werden kann und muss, jenseits folkloristischer Anbiederung an das Fremde, die bunte Welt der "Kulturen", oder gar identitärer Verbohrtheit. Gerade diese macht er identifizierbar, und entgegnet ihr mit einem "Patriotismus" als Treue und Anhänglichkeit an jene, die im Spanischen Bürgerkrieg, in den Konzentrationslagern der Nazis, unter den Militärdiktaturen Südamerikas Menschenwürde und ein menschliches Antlitz bewahrt haben. Hackl kann das ohne bekennerisches Getöse; er bleibt lakonisch und klar und erreicht gerade im Understatement schlichter biographischer Erzählung die größte Wirkung. Er scheut aber die emotionale Zuwendung nicht, die auf persönlicher Begegnung und (oder) empathischer Lektüre literarischer Texte gegründet ist.
Hackl, der "letzte Mohikaner des Eurokommunismus", wie er sich selbstironisch bezeichnet, nennt lobend die Namen der Widerstandskämpfer, schreibt aber auch (beispielsweise) über die Verluste, wie sie mit dem Tod von Persönlichkeiten wie Ruth Fischer, Franz Marek, Leopold Spira, Franz Kain anzuzeigen sind (um nur einige zu nennen, jener die 1997 verstorben sind, Eric Hobsbawm ist in jüngster Zeit dazugekommen). Seine Texte sind freilich oft wie ein Gang durch einen Friedhof, bei dem die Namen der gering Geschätzten, Unterschätzten, Vergessenen von den Steinen abgelesen und mit Erinnerungen verknüpft werden. Dem allgemeinen Lamento über das Vergessen hält Hackl die Namen, das Leben, das Glück und die Niederlagen der Vergessenen entgegen. Es geht, um es schillernd auszudrücken, nicht nur darum, die Völker zu zählen, sondern auch die Namen zu nennen. "Jede Häftlingsgeschichte ist es wert, gehört oder gelesen zu werden, nicht nur wegen der geteilten, sondern wegen der besonderen, einzigartigen, unverwechselbaren Biographie. Im öffentlichen Bewusstsein hat sich nämlich die Sichtweise der Nazis durchgesetzt (wenn auch mit umgekehrter Deutung), die ihre Opfer als graue, einförmige, geschorene Masse von armseligen Gestalten wahrnehmen, bar jeder Individualität und Vorgeschichte."
Es sind also "Einzelfälle" und menschliche Antlitze, denen Hackl die Geschichte ablesen kann. Freilich Einzelfälle anderer Art als diejenigen, für welche von ihren Parteien – im Sinne einer Schutzbehauptung - der Begriff reklamiert wird. Nur die Dümmsten von denen lassen sich erwischen und werden zu solchen "Einzelfällen", die Gerissensten verstehen es, eine gesichtslose Masse von Wählern hinter sich zu scharen. Unter der Bedeckung der Unschuldsvermutung machen sie ungeniert weiter und singen ihre Lieder. Hackl ignoriert sie. Ihm ist die Treue, Zuneigung und Solidarität zu "seinen" Einzelfällen wichtiger als ein billig und beliebig gewordenes Nazi-Bashing der Öffentlichkeit. Aus den Lebensgeschichten entsteht so eine Art biographisches Lexikon zur Literaturgeschichte und Politikgeschichte der durch das öffentliche Vergessen noch einmal Exilierten.
In einer klugen Fortführung von Gedanken Susan Sontags (
Regarding the Pain of Others) bestimmt er die Methode des Porträts, des literarischen wie das malerischen (am Beispiel Dieter Masuhrs) als den Weg, die unverwechselbaren Biographien aus der Reduktion auf ihren Status als Opfer herauszulösen, ihnen Gestalt und Würde auch jenseits dessen zu geben, was ihnen zugefügt wurde - ohne freilich dieses zu verschweigen.
Dass selbst solche, die durch Verfolgung gelitten haben um der Gerechtigkeit willen, davon reden, im Leben mehr Glück gehabt zu haben, weil sie Solidarität und Unterstützung erfahren haben, sollte Hoffnung geben und ermuntern. Sie sind zugleich auch Hoffnungsträger der Geschichte.
Von den großartigen Analysen zu Paul Engel, Fred Wander, Ruth Klüger, Jura Soyfer hätte auch die "einheimische Literaturwissenschaft", wie Hackl die Germanistenzunft etwas polemisch nennt, einiges zu lernen, und die Verlage hätten Anlass, über ihre Versäumnisse nachzudenken – etwa im Fall von Günter Weisenborns Roman
Der Verfolgte, für dessen Neuauflage Hackl eintritt.
Aber das ist noch nicht alles. Es folgen die detaillierten und informativen Berichte zur Literatur Lateinamerikas und, abschließend, Dankesreden zu Preisverleihungen. Ein imposantes essayistisches Werk, das die Romane und Erzählungen Hackls – seit
Auroras Anlaß (1987) und Abschied von Sidonie (1989) bis zur "Heldengeschichte" Am Seil (2018) begleitet.
Man hat manches schon an anderer Stelle gelesen, aber schließlich möchte man es dennoch gesammelt haben, weil es Breite und Konsequenz Hacklschen Denken und Schreibens dokumentiert, in einem schönen Buch, das die dunklen Jahre erhellt und die Namen der wahren Heldinnen und Helden nennt.

Hubert Lengauer
24.06.2019

 

 

 

 

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