Leseprobe:
Wir bauen uns auf. Wir verschränken die Arme vor unserer Brust, wir schauen auf die Kleine herab. Sie liegt auf dem Boden. Wir stellen unsere Füße auf ihren Körper. Wir achten dabei darauf, unser Gewicht nicht auf den Fuß zu verlagern, der auf ihr steht. Wir werden es nicht dulden, wenn unsere Regeln missachtet werden. Wir haben beschlossen, dass den Älteren nicht widersprochen wird. Wenn wir uns nicht an unsere Regeln halten, werden wir im Chaos untergehen, wissen die Großen. Wir glauben ihnen.
Sie haben schon Flaum auf dem Kinn und Haare unter den Achseln. Wir werden niemanden schlagen, haben wir versprochen. Die kleinen Kinder dürfen nicht kratzen und beißen und tun sie es doch, befehlen wir ihnen, was sie zu machen haben. »Iss!«, sagen wir deshalb zu ihr und sie wird essen. Wir nehmen unsere Füße von ihr. Die Nacktschnecke legen wir ihr auf die Zunge. Es würgt uns, als wir beobachten, wie sie anfängt zu kauen. Jetzt drückt es uns in der Kehle. Gleich wird einer von uns sich übergeben, obwohl sie die Schnecke kaut, obwohl wir ihr nur dabei zusehen. Einer von uns wird hier sicher gleich seinen Mittagseintopf vermengt mit Magen- und Gallensaft auf den Boden spucken und Fäden werden ihm aus dem Mund hängen. Sie kaut die Nacktschnecke so lange, als wäre es wirklich gut, was sie da im Mund hat. Jetzt schluckt sie und jetzt lächelt sie uns überlegen an. »Schmeckt gut«, sagt sie, steht auf und geht Richtung Dorfplatz. Wir sehen auf den Schotter, wir erkennen noch die Steine, die ihren Körper umgeben haben. Auch wir gehen weg, verlieren uns in den schmalen Gassen und Mila bleibt allein zurück, schaut auf die trockene Stelle und ihre Beine werden dabei zittrig.
(S. 13 f)
© Verlag Kremayr & Scheriau, Wien