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Leseprobe: Josef Zweimüller – "Grün."

Drei Wildschweine hatte Jona bislang erlegt. Siegfried, der früher Hausschweine gehabt und diese eigenhändig geschlachtet hatte, hatte ihm geholfen, sie fachgerecht zu zerlegen und zu verarbeiten. Zu verwerten gab es eine Menge. Er ließ Schmalz aus, das er für Salben und zum Braten benötigte, er pökelte verschiedene Fleischstücke ein, dörrte oder räucherte sie, ließ die gesalzenen Hachsen am Dachboden zu Schinken reifen und bereitete aus Knochen und Fleischresten zusammen mit Wurzelgemüse einen kräftigen Fond zu. Die Leber aß Siegfried am liebsten roh, aber Jona zog es vor, sie kurz anzubraten.

Am späten Vormittag bereiteten sich Hikaru und Jona auf die Pirsch vor, indem sie sich mit einem Gemisch aus Schlamm, Wachs und Harz einrieben. Das diente vor allem der Tarnung. Den feinen Geruchssinn der Tiere hätten sie so nicht getäuscht. Und genau deshalb war heute der richtige Tag, um zuzuschlagen. Ein kräftiger Föhnwind kämmte den Wald von Süden nach Norden, viel zu warm für den Herbst, aber nur gegen den Wind waren Wildschweine zu überlisten. Immer wieder leckte Jona seinen rechten Zeigefinger und hielt ihn in die Höhe. Einmal meinte Hikaru, die Windrichtung könne man auch leichter bestimmen und warf eine Handvoll Blätter in die Luft. Jona nickte, sah dann aber ihr neckisches Grinsen und wusste sofort, dass sie an heute Morgen dachte. Er selbst hatte ihr beigebracht, wie man sich gegen die nächtliche Kälte schützte und sie hatte sich tief ins Laub eingegraben. Jona senkte den Blick, um zu verbergen, dass es seine Mundwinkel ebenfalls nach oben bog. Mit jemand anderem über sich selbst zu lachen musste er noch üben. Umgekehrt funktionierte es bereits sehr gut. Hikaru hatte die Tarnfarbe im gesamten Gesicht verteilt und selbst die Haare damit eingerieben. Um Wildschweine zu fangen, musste man selbst zum Wildschwein werden. Und das waren sie, zwei freie, glückliche Wildschweine. Als Hikaru in die Hocke ging, um einen auf dem Rücken liegenden Hirschkäfer umzudrehen und ihm auf allen Vieren nachkrabbelte, fielen Jona die Herr-der-Ringe-Filme ein, die er als Kind gesehen hatte. Mit ihren großen Augen erinnerte sie ihn an Sméagol. Wir wollen ihn! Wir müssen ihn haben, den Schatz! Mein Schatz! Hikaru blickte auf, lachte und fragte, wen er denn meine, den Hirschkäfer oder sie.

Auf einer kleinen Anhöhe, versteckt hinter einer Eiche, bezogen sie ihren Beobachtungsposten. Genauer gesagt war es Jona, der den Wildschweinkessel im Auge behielt, während Hikaru in ihr Notizbuch schrieb. Die Sätze rollten in gleichmäßigen Schwüngen und Schlaufen über das weiße Papier, jede Zeile eine kleine blaue Welle. Das Büchlein war beinahe ausgeschrieben, die verbliebenen leeren Blätter kaum dicker als ein Fingernagel. Jona fragte sich, was Hikaru tun würde. Würde sie Siegfried bitten, ihr ein neues zu kaufen, oder selber in die Stadt fahren? In die Stadt…

Jona schluckte und wandte sich wieder den Wildschweinen zu. Wenig später brach die Rotte zu einer ihrer Fresstouren auf. Als er sicher war, dass die Tiere sich weit genug entfernt hatten, begannen sie mit den Vorbereitungen. Siegfried hatte einen eisernen Käfig benutzt, die Tiere damit fixiert und dann den Bolzenschussapparat angesetzt. Beides hätte er Jona geliehen, aber der hatte das Angebot ausgeschlagen. Nie würde er etwas verwenden, das auch die Fleischindustrie einsetzte. Jona holte den Leiterwagen, den er ein gutes Stück entfernt auf einer Lichtung abgestellt hatte. Anders war der Zwinger aus massiven Eichenästen nicht zu transportieren. Sein selbst gebasteltes Tötungswerkzeug glich einem Baseballschläger, aus dessen klobigem Ende ein Stemmeisen ragte. Hätte er den Keiler erst einmal in den Holzverschlag gelockt, würde er ihm mit einem gezielten Schlag das Eisen zwischen die Augen hämmern. Im Idealfall reichte ein einziger, entschlossener Versuch und das Tier brach auf der Stelle zusammen. Auf Wildschwein zwei hatte Jona dreimal einschlagen müssen. Der erste Hieb hatte dem Tier das linke Auge ausgestochen, der zweite das rechte Ohr abgerissen. Genau deshalb hatte sich Jona lange gegen Hikarus Wunsch gesträubt, ihn zu begleiten. Einem Hasen den Hals umzudrehen war das eine, aber die Wildschweinjagd konnte zu einer grausigen Angelegenheit ausarten. Und vielleicht wäre sie zu Hause geblieben, hätte er nicht ihrem Vorschlag nachgegeben, dieses Mal etwas weniger Brachiales auszuprobieren. Für Jona war klar, dass es sich bei ihrer Idee um eine Schnapsidee handelte und dass er mit seinem Schläger würde eingreifen müssen. Dennoch: Seit der Sache im Erdkeller, seit er den Stein zerschlagen hatte, begleitete ihn die Angst, Hikaru könnte einfach in ihren kleinen Toyota steigen und auf und davon fahren. Es gab Tage, an denen er sich am liebsten selbst verlassen hätte. Bis spät in den Abend hinein hatte er ihr Weinen und Schluchzen gehört, aber keine karrenden Treppenstufen. Dann war es still geworden und obwohl er geglaubt hatte, nie wieder schlafen zu können, war er irgendwann eingenickt.

(S. 88-91)

 

© 2020 Picus Verlag, Wien

 

 

 

 

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