Das ist etwas zu viel. Bei allem Respekt und bei aller Dankbarkeit für das Mitnehmen - aber es ist nicht seine Aufgabe, mich zu instruieren, was ich als nächstes [sic] schreiben soll, schon gar nicht, wenn er noch nie ein Wort von mir gelesen hat. Während ich sehr wohl einige seiner Kurzgeschichten gelesen habe und ihm, hätte er mir bei der Tagung die Zeit gegeben, gesagt hätte, wie sehr ich ihn als literarischen Emigranten, wie ich einer bin, respektiere, der mir nicht nur an Jahren, sondern auch an Können einiges voraus hat, sogar auf dem Gebiet, auf das ich besonders stolz bin, bei der Breite des Wortschatzes, selbst wenn er gern komplizierte Wörter verwendet und so sein Stil oft etwas schwerfällig wirkt. Diese Meinung würde ich aber nie zu ihm direkt äußern, ganz im Gegensatz zu seinen unhöflichen, herrischen Anweisungen an mich über das Thema meines nächsten Buches.
"Mein nächstes Buch ist fertig und kommt in diesem Herbst heraus", sage ich. "Ein Roman, der im Keller einer New Yorker Bäckerei spielt."
"Ah", sagt er und zieht an den Schuhbändern der Stiefel in seinem Schoß. "Gut, solange Sie nicht einen Reserve-Gorki abgeben."
Gorki?
"Haben Sie Gorki gesagt?"
"Der rote Max hat schwere Mehlsäcke geschleppt", sagt Nabokov, der sich darauf konzentriert, das Schuhband aus dem Stiefel zu reißen "Hat er jedenfalls behauptet."
"Maxim Gorki war Bäcker?"
"Bevor er zu einer Literaturhure wurde. Fette bolschewikische Tantiemen mit Hilfe eines Tricks, verstehen Sie? Ein schlechtes Beispiel."
"Mein neues Buch", sage ich, "folgt keinem Beispiel."
Er scheint überhaupt nicht zuzuhören.
"Schluss mit den Lobpreisungen des Proletariats", sagt er, mit dem widerspenstigen Schuhband beschäftigt. "Seit der Weltwirtschaftskrise gibt es schon zu viele Hymnen an den Pöbel."
"Diejenigen, die mein Buch schon gelesen haben, sehen es nicht als solche", sage ich laut. "Wenigstens nicht nach dem ersten Kommentar, der gerade gekommen ist." Pause. "Von Thomas Mann."
Das ist mein kostbares, streng gehütetes Geheimnis, das bis jetzt nur dem Crown-Publishers-Verlag bekannt war und meinem Mädchen mit der Haarwolke. Und ich gebe es ihm preis. Mitfahrgelegenheit oder nicht, er ist einfach unausstehlich.
Und mein Geschoss kommt an. Jetzt blickt er vom Stiefel auf - starrt mich an, die gebieterischen schwarzen Augenbrauen schräg nach oben gezogen.
"Mann!", sagt er. "Wie sind Sie denn in solche Hände gefallen?"
"Mein Lektor hat ihm die Fahnen geschickt."
"Unser Herr Doktor Mann", sagt Nabokov, "ist ein überschätzter alter Kacker."
(S. 123 ff)
© 2006, Deuticke Verlag, Wien.