Die offene Tür
Aladar Csanda, der Schriftsteller, saß vor seinem Schreibtisch und blickte zum Fenster hinaus. Von der Höhe des zwanzigsten Stocks sah er den Tumult auf der schnurgeraden Avenue: das ungeschlachte Schwanken und Schweben der überladenen Lastwagen, das hurtige Gleiten der so farbenfrohen New Yorker Taxis, den spasmatisch bald einsetzenden, bald aussetzenden Doppelstrom der Fußgänger. Er sah das ganze Getriebe der geschäftigen Avenue ungeheuer nah mit den Augen; mit den Ohren aber hörte er es bloß als ein fernes eintöniges Brausen, kaum deutlicher denn das Rauschen des Nachtwinds, nicht stark genug, den Schlaf zu scheuchen, nicht sanft und monoton genug, die Gedanken einzulullen. Auf den Dächern der kaum mehr als achtstöckigen Häuser unten in den Seitenstraßen lag noch graublau der Dunst des frühen Morgens und täuschte den Beobachter hoch oben vor dem Schreibtisch eine Stille und Einsamkeit vor, wie man sie nur auf dem Gipfel eines hohen Bergs genießen oder auf der Höhe eines Wolkenkratzers in New York sich einbilden kann, wenn man namentlich tagaus tagein in dem Zwang fortlebt, inmitten des Getriebes dieser rastlosen Stadt auf der taubstummen Erhabenheit eines Hochhauses sich denkfrisch und schreibfähig zu erhalten. Das war ihm seit Jahren gelungen, ging es ihm durch den Sinn, und er lächelte zufrieden, als wäre es nur ihm persönlich geglückt, das gewaltige Monster zu überlisten. (S. 9)
© 1999, zu Klampen, Lüneburg.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.