1. Der Held und sein Wetter
Oder: Wer hier seine Schuldigkeit tut
Sollte einmal eine Geschichte der Zweiten Republik geschrieben werden, die die österreichischen Printmedien als Quelle benutzt, wird eine metereologische Langzeitstudie herauskommen. österreichische Zeitungen sind ja deshalb so einzigartig, weil sie am liebsten den Wetterbericht in der Schlagzeile bringen. Ein berühmtes Beispiel ist jene Ausgabe des Kurier aus dem Jahr 1975, das mehrfach glossiert wurde: Damals hatte der spanische Diktator Franco, gleichsam vom Sterbetett aus, fünf baskische Oppositionelle zum Tod verurteilt, und zwar durch die Garotte, eine mittelalterliche, besonders grausame Hinrichtungsmethode. Die Schlagzeilen der Weltblätter zeigten unisono Protest gegen den spanischen Caudillo, nur der Kurier machte mit den Lettern auf: "Es ist soweit: Der Herbst ist da!"
Zwei Jahre später, als der Herbst zum internationalen Thema wurde, nämlich der "Deutsche Herbst, schlagzeilten Kurier und Krone: "Schönster" bzw. "Wärmster Herbst seit 51 Jahren!"
Es müssen schon Kriege in der unmittelbaren Nachbarschaft ausbrechen, um das Wetter aus den österreichischen Schlagzeilen zu verdrängen, aber selbst dann kann das österreichische Know-how siegen: "Nebel! scheitern Luftangriffe am Wetter? (Kronen Zeitung)
Viel zu wenig beachtet wurde bislang ein möglicher Grund dafür, warum Bruno Kreisky immer wieder Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften als seinen Lieblingsroman bezeichnet hat: Es ist der österreichische Roman, der mit einem Wetterbericht beginnt. Aber erst als der derzeitige Kanzler Viktor Klima medial verbreitete, daß sein Lieblingsroman ebenfalls Der Mann ohne Eigenschaften sei, waren österreichische Tradition, avancierte Medienpolitik (= Politik für die Medien) und moderner Paternalismus in höchster Staatsrepräsentation zusammengefaßt: Glücklich das Land, dessen Regierungschef sich für die Titelseiten der Zeitungen mit Wassereimern und Gummistiefeln bereithält, wenn die Isothermen und Isotheren, anders als in Musils Österreich, einmal nicht ihre Schuldigkeit tun.
Andererseits: Friedrich Christian Delius hat in seiner Untersuchung Der Held und sein Wetter gezeigt, daß im bürgerlichen Entwicklungsroman das Wetter stets zum Gang der Handlung und zur Entwicklung der Haupthelden paßt und so zur Metapher für individuelle und gesellschaftliche Entwicklung wird. Schneeinferno und Regenkatastrophen in Österreich, Lawinen und Muren, kreißende Berge, einstürzende Stollen, Sonnenfinsternis - und demnächst Wahlen.
Wird die Schlagzeile am Tag nach der Wahl "Erdrutsch" sein? (S. 7f.)
© 1999, Sonderzahl, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.