Herr Schwitters hatte bei diesem Essen ein Glas Wein getrunken, ich drei. Das erklärt manches, nicht alles. Ich bin alert gewesen. Das Geschäft war zu Bedingungen, die mich völlig zufriedenstellten, abgeschlossen worden. Er war mir unsympathisch. Das erklärt gar nichts. Man merkte, dass er selbst begeistert davon war, wie gut er funktionierte. Das erklärt absolut nichts. Ich schätzte ihn auf unter dreißig. Einer dieser schlaksigen Jünglinge in dunkelgrauen Anzügen und pomadisiertem Haar, die zur Zeit der Wende im Kindergarten gespielt hatten und nun so taten, als hätten sie den Kapitalismus erfunden. Ich wollte ihn – schockieren ist ein zu großes Wort, ich wollte ihm jedenfalls nicht die naheliegende Antwort geben: Goethe-Museum, Schiller-Museum, und darauf eine abschließende Phrase von diesem literarischen Analphabeten hören müssen. Also zuckte ich die Achseln und sagte: Ich werde ins KZ gehen und dort die Zeit totschlagen.
Egal, was ich gesagt hätte, Herr Schwitters hätte mir daraufhin einen schönen Tag gewünscht. Der Satz war in seinem Mund schon vorbereitet, und sofort purzelte er heraus: Also dann, einen schönen Tag noch!
Aber irgendwie, das war ihm anzusehen, war er irritiert, und ich wusste, ich hatte ihn unterschätzt. Vor allem aber wusste ich augenblicklich: Ich hatte nicht so sehr ihn schockiert, und wenn, dann war es unerheblich, sondern ich hatte mich selbst schockiert. Das hatte ich nicht sagen wollen, das hätte ich nicht sagen dürfen, das war doch wahnsinnig: Zeit totschlagen im KZ.
(aus "Romantische Irrtümer". S. 130 f)