Jakob sah die voll beschriebenen Blätter vor sich und wusste wieder, er war ja nicht irgendwer, in Freistadt bestimmt der Einzige, der Schneeflocken erforschte, wahrscheinlich gab es im ganzen Land keinen von seiner Art, und warum nicht auf der Welt nur ihn, denn in keinem Buch hatte er jemals darüber etwas gelesen, auch in der Bibel stand nichts von Schnee, und bestimmt war es kein Zufall, dass die Römer dafür nur ein enttäuschendes Wort hatten, nämlich nix. Nix, nivis. Und Schneeflocke hieß im Lateinischen nives plumeae. Ihm gefiel das überhaupt nicht, es war nichts als plump für so ein leichtes Wesen. Dabei mochte er diese Sprache, sie war ihm nach Freistadt die zweite Heimat geworden, und immer öfter dachte er, dass ihm von der katholischen Kirche außer Latein nicht viel übrig geblieben war, denn Gott fand er in den Schneeflocken, dazu brauchte er weder den Papst noch den riesigen Petersdom, den sie seit geschlagenen hundert Jahren um das Geld der Gläubigen bauten. Ein endloser Aderlass aus Ablass, die Kuppel so groß wie der Hauptplatz, und Sibirsky hatte berichtet, drinnen würde jeder noch so kleine Flecken angemalt, mehr Bilder von Gott, als selbst er Gesichter haben konnte, Heilige in jeder Ecke, ein Leichenschauhaus das Ganze. Und keine Achtung vor dem Kleinen. In einer Halle, hoch wie ein Wald, konnte man leicht demütig sein, aber auch niedergedrückt, allein vom Anblick erschlagen. Jakob würde nie nach Rom reisen. Dort gab es weder wirklichen Schnee, noch irgendwo das Bildnis einer Flocke, einem Herrn Michelangelo waren wohl Sterne dieser Art zu minder, wahrscheinlich hatte er bei all seinen Studien noch nicht einmal auch nur einen einzigen gesehen!
(S. 16f)
© 2009 Seifert Verlag, Wien.