"Worauf bist du denn am allermeisten ... stolz?"
Das Mädchen versuchte vergeblich, ein weiteres Aufschluchzen zu unterdrücken, nachdem es zuvor von der Männerstimme barsch zurechtgewiesen worden war, endlich mit dem albernen Geheule aufzuhören, das nichts ändere. Weil durch Geheule nie etwas besser werde. Niemals! Dabei schnitt die schmale Kunststofffessel, mit der die Hände des Kindes hinter seinem Rücken gebunden waren, schmerzhaft in das Fleisch. Auch die Augenbinde saß viel zu fest. Es war sehr unangenehm, wie sich darunter die Tränen stauten. Zum Glück war das Klebeband weg, auch wenn es sehr weh getan hatte, als es ihr im Haus vom Mund gerissen worden war. Und dieses entsetzliche Jucken, wo sich das Mädchen wegen der Fesselung doch nicht kratzen konnte! Denn seit es aus dem Lieferauto gezerrt und von der ihren Oberarm so hart umklammernden Hand des Unbekannten über die Schwelle und bis in diesen ebenerdig gelegenen Raum geschleift worden war, quälte das Kind dieser Juckreiz.
"Na, nun sag schon! Worauf bist du am allermeisten stol?"
"Stolz ..."
"Ja, stolz! – Ist es denn nicht dein ... Klavierspiel?"
"Schon, ja ..."
"Na eben! Und was brauchst du dazu am nötigsten?"
"Das ... Klavier."
"Das Klavier, das Klavier! Welchen Körperteil?! Den Körperteil meine ich!"
"Die ... die ... Hände. Meine Finger."
"Na eben. Die Finger also ..."
"Ja ..."
"Und diese Finger ... die sollen doch alle Menschen kennen, oder? Überall auf der Welt?"
"Ich weiß nicht ..."
"Aber das möchtest du doch? Auf der ganzen Welt. Wo du doch eine so großartige Pianistin bist!"
"Ich weiß ni– schon, ja."
"Na eben!"
(S. 7f)
© 2010 Residenz Verlag, St. Pölten-Salzburg.