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Helmut Eisendle: Lauf Alter, die Welt ist hinter dir her.

Wien, München: Deuticke, 2000.
112 S., brosch.; öS 198.-.
ISBN 3-216-30512-0.

Link zur Leseprobe

Helmut Eisendle hatte seinen ersten großen Auftritt in der österreichischen Literatur der 70er. Bei der jetzigen Wiederbegegnung mit diesem Autor in seinem neuen Buch "Lauf Alter, die Welt ist hinter dir her" hat man den Eindruck, er knüpft an den selben Punkten wie anno dazumal an. Nach wie vor dient ihm Fritz Mauthners Sprachkritik als Ausgangspunkt für Welt- und Wirklichkeitszweifel. Nach wie vor posiert das poetische Individuum in Abgrenzung zur Masse. Und nach wie vor wird viel gedacht, woraus aber oft, um mit Musil zu sprechen, "bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht". Bei Eisendle heißt das: "Ein Gehirn verschleißt sich nicht, sondern wiederholt eingefahrene Bahnen." (S. 39)

Liebe, Tod, Gesellschaft, Medien - alles wird in "Lauf Alter" ruckzuck durchkonjugiert. Wie vor über 20 Jahren lässt Eisendle einen "Narren auf dem Hügel" sprechen, der vom Standpunkt seiner Lebenserfahrung aus auf das Treiben unten im Tal einen Blick wirft und es in Begriffen unter einen Hut bringen möchte. "Allen Ernstes habe ich mir vorgenommen, mich aus den Chören der städtischen Weisheit herauszuhalten und mir, nicht mehr und nicht weniger, Gedanken über mich und die Welt zu machen. Hier bin ich in der Natur und denke." (S. 85)

"Räsonantenstadl" urteilte der Germanist Klaus Zeyringer in seiner Kritik im "Standard" abschätzig über dieses Buch. Doch selbst wenn man die Art der Selbsteinschätzung von Eisendles Figur als der Weisheit vorletzten Schluss nicht goutiert, muss man der Fairness halber zugeben, dass schon bei weitem blödere Bücher zusammenräsoniert und dann von der Kritik in den Himmel gelobt wurden. Es stimmt zwar, dass in Eisendles Gedankenfluss manche Banalitäten vorbeitreiben; aber andererseits finden sich darin auch Sätze von überraschender Schönheit, vor allem in den Betrachtungen über das Alter oder über die (menschliche) Natur.

Die Rahmenhandlung des Buches ist recht simpel: Ein Mann fortgeschrittenen Alters erklimmt einen Berg und versucht dabei, das Treiben der Welt auf den Punkt zu bringen. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur dient als Ausgangspunkt. Mensch und Gesellschaft sowie das menschliche Denken an sich sind in 12 Kapiteln weitere Bezugspunkte, um die das Denken kreist. Angereichert werden die Gedanken durch Erinnerungen des Alten. Räsoniert wird abwechselnd aus der Er- bzw. Ich-Perspektive. Erst im vorletzten Kapitel ergibt sich so etwas wie ein Dialog aus diesen beiden Stimmen, die man bis dahin als Varianten ein und der selben Stimme vernehmen konnte. Doch wer spricht da wirklich, wer ist dieser Alte, der auf sein Leben zurückblickt und seine Erfahrungen und Ansichten vor der Leserschaft ausbreitet? - Diese Frage wird vom Alten wiederum thematisiert: "Jede Person ist viele Personen. Eine Menge, die zu einer Person gemacht wird, eine Vereinigung." (S. 64)

Eisendles Versuch, die Welt aus dem Wissen heraus, dass nichts auf den Punkt zu bringen ist, doch auf den Punkt bringen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. Dass der Versuch zwischendurch scheitert, hat damit zu tun, dass Eisendle das Wissen, dass nichts auf den Punkt zu bringen ist, scheinbar nicht ernst genug nimmt. Warum sonst versucht er, der Welt mit Aussagesätzen beizukommen, die möglichst Klarheit schaffen wollen, anstatt mit einer Sprache, die Platz für das Vage lässt? Dass sich in diesen Sätzen Stichworte wie "Hiroshima" oder "Lemminge" finden, als hätten sie noch Aussagekraft, und dass beispielsweise eine Kurz-Suada auf "die Herren Politiker" angestimmt wird, erzeugt eine gewisse Ratlosigkeit darüber, was solche Platitüden in einem Text, der sich als poetisch begreift, zu suchen haben.

Die zwischenzeitigen Abstürze in die Untiefen des Räsonierens hinterlassen einen ambivalenten Eindruck dieser Erzählung, die mit einer etwas spannenderen Rahmengeschichte durchaus das Zeug zu einem veritablen Verkaufsschlager hätte. Denn selten setzt sich ein österreichischer Autor so ungeniert und so intensiv seinem eigenen Denken aus. Der Titel ist übrigens angelehnt an einen Ausspruch der situationistischen Internationalen aus den 70ern und wird vom Protagonisten folgendermaßen ausgelegt: "Lauf, Alter, die Welt ist hinter dir her. Das ist eine Aufforderung; nicht zu laufen, sondern zu denken."
(S. 102)

Werner Schandor
26. Juni 2000

 

 

 

 

 

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