(Ich)
Der Ort des Geschehens ist Wien. In Wien spielt es, und zwar heute. Nur bin ich heute nicht mehr da. Hier ist Wien. Ich bin weg.
Jetzt soll Wien zusehen, wie es ohne mich zurechtkommt. Und ich sehe Wien zu, wie es ohne mich zurechtkommt, und ich muss sagen, Wien kommt sehr gut zurecht. Hier wird einfach weitergemacht ohne mich. Hier wird getan, als ob ich nie hier gewesen wäre.
In der Florianigasse, Höhe Lammgasse, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, als hätte ich hier nie gewohnt. In der Margaretenstraße, kurz nach dem Margarentenplatz, wenn man Richtung Innenstadt geht, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich hier nie gegessen. In der Skodagasse, da, wo die Lederergasse in sie mündet, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich hier nie getrunken. In der Siebensterngasse, da, wo die Mondscheingasse von ihr wegführt, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, und das war wohl schon früher so. Als hätten die Straßen zu schöne Namen für mich.
Ich weiß, es fällt keinem auf. Doch es hat sich etwas verändert. Und ihr könnt, wenn ihr wollt, die Stadt nach mir absuchen. Aber in der Margaretenstraße werdet ihr mich nicht finden. Und ihr könnt mich suchen, wenn ihr wollt, in der Siebensterngasse, aber nein, da bin ich bestimmt nicht. In der Florianigasse werde ich auch nicht sein. Und in der Skodasgasse, da könnt ihr es schon versuchen, aber das wird nichts bringen, das könnt ihr mir glauben.
Wenn ihr euch fragt, wo ich bin, dann kann ich euch nicht helfen. Ich habe die Stadt, vielleicht auch das Land verlassen, bin in Rom oder Puerto Plata, in Bearsville oder woanders.
(S. 7-8)
(Petar)
Warum heißt dein Lokal eigentlich Petars? Ist das irgendein Witz, den ich nicht verstehe?
Kein Witz, sondern mein Name. Ich heiße so.
Ich dachte, du heißt Peter.
Offiziell Petar. Ist kroatisch.
Merkt man gar nicht.
Ich koche doch auch kroatisch.
Stimmt, aber Schnitzel gibt es auch.
Ja, unter anderem.
Also bist du Kroate? Cool. Sag mal was in deiner Sprache!
Ich hab jetzt keine Zeit, leider.
Peter tut seinen Gästen durchaus gern einen Gefallen, aber er ist auch nicht ihr Hofnarr und keine Jukebox. Und er ist zwar ein toleranter Mensch, das weiß jeder, aber manches ist auch ihm zu blöd. Und darum geht er weg, um hinter der Schank ein paar unnötige Verrichtungen zu machen, zum Beispiel poliert er den Tresen und legt eine andere CD ein (Junge Römer / tanzen anders / als die anderen / ah-ah-ah).
Während er im Kopf mitsingt, fängt er an, sich zu ärgern. Peter muss sich häufig ärgern in der letzten Zeit, heute über die Deppen, die es tatsächlich schaffen, dass er sich wie das einzige Ausländerkind in einem Provinznest in Österreich fühlt. So, wie man sich da fühlt, wenn man einen Namen hat, der ein bisschen anders ist, nicht sehr, es ist ja nur ein Buchstabe falsch, und das nur im Pass und im Zeugnis. Aber trotzdem. Wenn man perfekt Deutsch spricht, aber das R zu sehr rollt; noch ein falscher Buchstabe, auch den wird man niemals los.
Und später in Wien, wo man studieren darf, sogar mit einem Stipendium, ist es dann plötzlich ganz interessant für manche Leute, für manche Frauen auch: Dass man eine andere Sprache spricht, dass man das R anders ausspricht. Oder dass man kroatisch kochen kann. Und Petar, das klingt doch viel besser als Peter. Das ist dann auch ein bisschen komisch.
Und heute steht man da, in seinem eigenen Restaurant mit kroatisch-österreichischer Küche und muss sich hier so einen Blödsinn anhören.
Trinkt euer kroatisches Bier aus, ich sperre jetzt zu. Peter denkt das sehr grimmig.
(S. 80-81)
© 2011 Schöffling & Co, Frankfurt am Main