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Susanne Gregor

© Lukas Dostal



Geb. 1981 in Zilina in der Slowakei; 1990 Übersiedlung nach Oberösterreich; Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg; seit 2009 Veröffentlichung von Kurzgeschichten; 2011 Debütroman
„Kein eigener Ort“ in der Edition Exil. Auszeichnungen: 2009 Förderpreis des Hohenemser Literaturpreises und 2010 Exil-Literaturpreis. Susanne Gregor lebt in Wien.

Huehuete im März

Das Flugzeug landete um 21.26 Uhr Central Standard Time, in Wirklichkeit blieb die Zeit aber für eine Woche stehen. Ich stieg aus dem Flugzeug und ein heißer Windstoß verschlug mir den Atem. Wie im Traum schlich ich durch die engen Gänge des Flughafens. Am anderen Ende des Korridors ging eine Glastür auf und wir wurden von einer Masse Verwandten verschluckt. Sie hatten wie ein Ameisenhaufen an der Absperrung gewartet. Dora stand ganz hinten auf ihren Zehenspitzen. Ihre braunen Haare waren zur Seite gekämmt und mit einer Spange befestigt. Sie umarmte mich ein bisschen kühl. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Sie seufzte und hielt meine Hüften als würden wir tanzen. Dann drehte sie mich von ihr weg. Das ist Nathan. Eine stoppelige Wange drückte sich an die meine. Nice to meet you. Draußen wartete ein Jeep, der glänzte wie Doras Spange. Nathan schob mein Gepäck in den Kofferraum. Ich wurde von fünf Kindern überwältigt, die an meinem Rock zupften und um Geld bettelten. Dann fuhren wir durch die Nacht.

Ich erwachte vom Summen des Ventilators. In der Dunkelheit erschreckte mich die Fremde des Zimmers. Nathan saß im Wohnzimmer und lachte in den Fernseher. Ich tapste barfuß auf den kühlen Fliesen in die Küche. Nach meiner Uhr war es jetzt nicht Zeit zum Schlafen. Durch die Fenster spähte ich in den Hof. Der ausgesperrte Hund hob müde seinen Kopf und sah mir lange in die Augen, bevor er sich wieder zusammenrollte und weiterschlief. Der Kühlschrank war voll mit Fleisch und Obst. Ich schälte eine Mango und streckte mich auf der Veranda aus. Sogar in der Nacht kroch einem die Hitze in jede Pore wie Ungeziefer. Ich träumte ich würde ins Bett getragen.

In der Früh packten wir eine kleine Reisetasche und holperten mit dem Jeep stundenlang über Schlaglöcher. Von hinten betrachtete ich Doras Genick. Ein paar Stähnen klebten an ihrer hellbraunen Haut, die feucht von der Hitze war. Wenn sie nach rechts aus dem Fenster sah, bewunderte ich ihr Profil. Ihre Nase war lang und gerade wie die unserer Mutter. In meiner Tasche steckte ein Foto von uns dreien. Ich sah ihnen überhaupt nicht ähnlich. Nathan erzählte über die Geographie des Landes und die vergangenen Wahlen. In seiner Stimme lag die Sensationslust, mit der Amerikaner über arme Länder sprechen. Sein Finger zeigte auf die Plakate des neuen Präsidenten, der die Hände in die Hüfte stützte. Dora drehte sich ab und zu nach hinten um und lächelte mit geschlossenen Lippen. Wir folgten dem Holzpfeil mit der Aufschrift Huehuete an die Pazifikküste von Nicaragua.

Das Strandhaus der beiden stand in einer Reihe von kleinen Häuschen. Wie eine Perlenkette schlossen sie den Strand ab. Das Hausmädchen öffnete das Tor für den Jeep und eilte zurück in die Küche. Ich folgte Dora in das kühle Innere des Hauses. Sie führte mich in mein Zimmer, während ich ungeduldig von einem Fuß auf den anderen stieg. Dora lachte. Ich weiß, du schwimmst so gern.

Dann lief ich endlich durch den schmerzend heißen Sand. Das Meer kam mir entgegen als hätte es nur auf mich gewartet. Kleine Schaumflocken leckten meine verbrannten Sohlen. Ich versank sanft im feuchten Sand. Noch ein paar Schritte und mein von der Mittagssonne aufgehitzter Körper wurde von den Wellen verschluckt. Ich streckte mich aus und ließ mich treiben. Nathan winkte vom Balkon.

Die Tage am Meer flossen ineinander süß und zäh wie Honig. Morgens frühstückten wir Obst und tranken Tamarindosaft. Das Meer wog mich in seiner Endlosigkeit. Wie ein Kind rief mich Dora dann aus dem Wasser. Mittags sollte man schlafen, sagte Nathan. Ich rollte mich nackt auf meinem Leintuch zusammen und der Ventilator wackelte auf der Decke im Kreis. Meine Schultern glühten wie Kohle im Lagerfeuer. Abends wehte ein kühlerer Wind und wir aßen gegrillten Fisch. Die Katzen schlüpften durch den Zaun. Dora saß mir gegenüber und ihre klugen Augen ruhten auf mir, wenn ich von zu Hause erzählte. Manchmal sank ihr Blick zur Tischdecke. Ich sprach auch von Leuten, über die sie nicht hören wollte. Ab und zu blitzte ein Vorwurf in ihrem Gesicht auf. Nathan kratzte sich seine rauen Wangen und sein Blick hüpfte zwischen Dora und mir. Wir teilten eine Vergangenheit, von der er nichts wusste. In unserem Sangria ruderten Bienen.

Der Morgen kam und der Regen blieb wieder aus. Schon seit Monaten, seufzte das Hausmädchen. Mittags zogen wir uns schattensuchend ins Haus zurück. Langsam umschlichen uns die Gerüche aus der Küche. Das Fleisch zischte am Grill. In Nathans Arbeitszimmer stand ein alter Computer. Ich schrieb ein paar Emails an unsere Eltern. Von der Hitze benebelt rang ich mir verzweifelt ein paar müde Worte ab. Senden. Unter der Tastatur klemmte ein fliederfarbenes Stück Papier mit Marmormuster. Ich nahm es heraus und überflog die Zeilen. Ein Liebesbrief ohne Anfang und ohne Ende, von oben schräg nach unten geschrieben, in Kinderschrift eines Erwachsenen. Ich legte es gefaltet zurück. Beim Mittagessen stieg plötzlich starker Wind auf. Das Hausmädchen musste das Tischtuch auf der Veranda mit kleinen Steinchen befestigen. Dora und Nathan aßen auf die gleiche Weise. Sie sahen sich ähnlich, wie ein Ehepaar es nach gewisser Zeit tut. Der Wind wirbelte Doras Haar durcheinander und sie tastete nach ihrer Glitzerspange. Ich dachte daran, dass sie einen Liebesbrief bekommen würde. Nathan hielt mir einen Vortrag über das hiesige Klima. Ich hätte lieber über das Meer gesprochen. Es wog mich als Dessert in Richtung Horizont und wieder zurück. Ich ließ mich auf dem Rücken treiben und starrte in die kleinen Wolken, die der Wind nach Westen schob. Bei den großen Wellen tauchte ich unter und tauchte dann in weißem Schaum wieder auf, manchmal näher oder ferner ab. Schwimm nicht zu weit raus, rief Dora, die im Schatten saß. Sie schrieb an einem Roman, hatte sie mir erklärt. Nathan winkte vom Balkon.

Später fuhren wir zum Markt. Ich trug eine weiße Leinenhose. Wir betasteten Vasen, Puppen und Hängematten. Die alten Frauen saßen auf kleinen Hockern vor ihren Ständen und fächerten sich müde Luft zu. Die jungen Frauen in den Schuhläden sahen abwägend an mir auf und ab. Ein dutzend Kinder tapste auf ihren kleinen schmutzigen Füsschen mit ausgestreckter Hand hinter mir her. Ich drehte erklärend meine Hosentaschen nach außen. Dann zeigten sie auf Nathan. Von jedem Stand aus rief man nach mir oder zupfte an meiner Kleidung. Hilfesuchend sah ich mich nach Nathan und Dora um, die dank ihrer Haarfarbe wie Einheimische aussahen. Mein rotes Haar stach aus der Menge wie Flammen. Ich kaufte mir einen großen Hut. Dora kaufte Geschenke für die Familie. Sorgsam tastete sie die Qualität ab und fuhr mit dem Zeigefinger über Leder und Holz. Obwohl ihr Blick immer in Gedanken verloren schien, konnte sie sich leicht entscheiden. Ich fragte mich, wie das alles in meinen Koffer passen sollte. Dann aßen wir Quesillo und fuhren zurück zum Strand.

Die Neuigkeiten über zu Hause drangen über den Telefonhörer an mein Ohr. Die Stimmen der Daheimgebliebenen klingen auf Reisen immer anders. Ich legte auf und sah lange aus dem Fenster. Dann klopfte ich unter Nathans Arbeitstisch den Sand von meinen Flip Flops ab. Unter der Tatstatur lag wieder ein Brief, auf demselben Briefpapier geschrieben. Vorsichtig kontrollierte ich, ob mich niemand beim Lesen gesehen hatte. Auf der Toilette starrte mich eine sonnenverbrannte Fremde im Spiegel an. Meine Haare standen stumpf in alle Richtungen ab. Nur meine Zähne blitzten, wenn ich lachte.

Abends saßen Dora und Nathan bereits am Tisch und warteten auf mich. Ich erzählte ihnen die Neuigkeiten von zu Hause. Dora hörte aufmerksam zu und nickte ab und zu oder zuckte mit den Schultern. Wir lachten und atmeten die schwere nächtliche Meeresluft. Nathan trank sein Bier und drückte ein kleines Radio auf sein Ohr. Dora und ich tranken Sangria und schleckten dann lachend die Früchte aus dem Glas. Das Hausmädchen brachte eine zweite Karaffe. Später blieb ich noch alleine sitzen und starrte in die Dunkelheit. Nur der ins Wasser geklatschte Vollmond ließ mich die Umrisse des Ozeans erkenen. Ich schlich wie auf Katzenpfoten über den Sand. Das Meer war überrraschend hoch gestiegen, fast bis zu unserem Zaun. Ich watete lang durchs kniehohe Wasser, bis ich endlich ganz darin versank. Die Wellen brachen wild und kühl über mir zusammen.

In dieser Nacht kam Dora zu mir ins Bett. Sie schmiegte sich von hinten an mich und ich fühlte ihre Brüste an meinem Rücken. Dann strich sie mir sanft über die Haare. Verwirrt hielt ich ihre Hand fest und drehte mich zu ihr um. Ihr Atem roch nach Mandarinen. Sie vergrub ihren Kopf unter dem meinen und schlief ein. Ich träumte, das Meer hätte das Haus erreicht und uns alle im weißen Schaum der Wellen davongetragen.

Als ich aufwachte, stand Nathan in der Tür. Seine Augen waren rot wie Blutoragen. Ich konnte nicht sehen, wohin sein Blick ging. Dora lag zusammengerollt wie ein Baby in meinem Arm.

Das war der Tag meiner Heimfahrt. Der Flughafen war ganz leer. Wir waren zu früh hingefahren und standen nun unentschlossen in der großen Halle. Keiner sprach. Ich nahm meine Koffer aus Nathans Händen und umarmte zuerst ihn, dann Dora. Sie gingen mit langsamen Schritten in Richtung Ausgang, ohne sich umzudrehen. Ich winkte trotzdem.

Im Flugzeug hatte ich eine dicke Sitznachbarin und eine Handtasche voller Bücher. Der Reißverschluss klemmte. Als ich die Tasche endlich aufriss, fiel ein kleines Päckchen heraus. Briefe auf fliederfarbenes Briefpapier geschrieben, mit einer roten Schleife zusammengebunden. Dann verschwand das Land unter den Wolken.

© Susanne Gregor, 2012

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