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Nadine Kegele: Annalieder.

Erzählungen.
Wien: Czernin Verlag, 2013.
112 Seiten; gebunden; Euro 17,90.
ISBN: 978-3-7076-0446-7.

Leseprobe

Autorin

Wer kennt sie nicht: Die ungewöhnlichen Leidenslieder, die das gewöhnliche Leben spielt - Nadine Kegele verschriftlicht sie, zeigt ihre niederschmetternde Wucht und Gewalt mit großer Direktheit und Unverstelltheit und nennt sie Annalieder. Bis ins dunkelste und bewegendste Detail führen die Erzählungen und portraitieren, teils gespickt mit Ironie und Sarkasmus, die Härte unserer facettenreichen Lebenswelt.
Mit zwölf Kurzgeschichten stellt Kegele Wendepunkte oder besondere Ereignisse in unterschiedlichsten Lebensphasen von Frauen dar und schafft es, besondere Gefühlsmomente - seien sie positiv oder negativ - im Sinne eines nunc stans in Worte zu fassen. Und damit ist auch eine Antwort auf die Frage, warum man das Buch immer wieder weglegen und Lektürepausen einlegen muss, gefunden: Die „harte Kost“, direkt, bitter und beim Lesen fordernd, verweigert sich der oberflächlichen und schnellen Lektüre.

Annalieder ist nicht darauf angelegt, Lösungen anzubieten. Sachlich und fast nüchtern wird von Maria erzählt, einer Frau, die in ihrer Verzweiflung sich und ihr Kind selbst verbrennt, oder von Dominique, die sich allabends als Dominik mit einer Männerrunde trifft und eine Frau vor einer Vergewaltigung bewahrt, indem sie vortäuscht, diese selbst zu vergewaltigen. Oder etwa die Geschichte von Michaela, einer schwangeren Frau, die selbstbewusst ihren Mann verlässt, oder jene Luises, die beim Begräbnis ihrer Mutter ihre schwere Kindheit reflektiert. Berechtigt ist an dieser Stelle sicher ein Brückenschlag zur Neuen Sachlichkeit, denn der Anspruch der sozialkritischen Texte, ein Zeitdokument zu schaffen, ist unverkennbar.
So mannigfaltig die Moritaten (siehe Klappentext) ihren Inhalt betreffend sind, lässt sich dennoch eine Verbindung zwischen ihnen ausmachen: Von einer jungen zu einer alten Frau und abschließend wieder zurück zur jungen liest sich das Gesamtwerk romanhaft wie die Geschichte einer Frau, die Einzeltexte wie Fragmente ihrer Leidenschronik. Gerade in den ersten Texten werden die Namen der Frauen nicht genannt, was diese Lesehaltung anfangs bestärkt, wenngleich das Fehlen der Namen auch ein Indiz dafür ist, dass es die Geschichten einer jeden Frau sein könnten.

Sprachgewandtheit und Präzision münden im Stil der jungen Autorin, als dessen Merkmale abgebrochene Sätze, Metaphern, viele Metonymien und Umschreibungen gelten, niemals im Übertriebenen. Ganz im Gegenteil: Der sichere und gefestigte Stil balanciert souverän zwischen Verrücken und Verdunkeln auf der einen Seite und dem sofortigen Preisgeben des Sinns auf der anderen. Der Verzicht auf Anführungszeichen in der direkten Rede kann gleichermaßen in die Reihe dieser Stilmittel aufgenommen werden: Wer denn hier spricht ist oftmals nicht mehr eindeutig zu beantworten und scheinbar auch nicht von Relevanz. Eingerückt vom Rand und mit neuem Absatz beginnend, gliedern die direkten Reden den Text und die daraus resultierende graphische Form schafft dem Gesprochenen gleichzeitig mehr Raum.

Was hier nun für die Form besprochen wurde, trifft auch auf die erzählte Handlung zu: Inhalte geben sich nicht vorschnell preis, oft muss zurückgelesen werden, um Leerstellen zu erschließen und einiges bleibt bis zuletzt unklar. Das verleiht den Texten einen unverkennbaren Reiz, und wie die „realen“ Lebens- und Leidenslieder nicht linear und widerspruchsfrei verlaufen, so trifft das auch auf die Geschichten zu: sie gehen - vermeintliche - Umwege, sind oft verworren, unberechenbar, spontan. Beschreibungen der äußeren Lebenswelt verschmelzen oder alternieren sprunghaft mit jenen der inneren, mit Gedanken oder direkten Reden. Die Form der Kurzgeschichte kommt dieser Tatsache sehr entgegen. Es geht um die Schaffung eines Gesamteindrucks, der auf eine scharfe Trennung von Außen und Innen verzichtet und alle möglichen Perspektiven ausschöpft.
Während die erste Kurzgeschichte eine Brustwarzenverletzung beschreibt und einen durchaus witzigen Einstieg darstellt, bleibt es nicht bei dieser lockeren und ungezwungenen Atmosphäre. Vielmehr ist den Texten eine Steigerung, ein Anlaufen zu attestieren, Stil und Inhalt präzisieren sich nach und nach in ihren Eigenheiten.
Alles webt sich zu einem Netz aus großen Gedanken und Gefühlen, das zwar bis zuletzt löchrig bleibt und sich oft unsymmetrisch gebiert, das aber gerade deshalb die Lesenden gnadenlos einfängt, sodass ein Freikommen aus der Welt der Annalieder lange nicht möglich scheint - intensives Nachwirken garantiert.

Lydia Haider
20. März 2013

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.


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