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no. 5: perspektive afrika -> perspektive
 

perspektive

Nicht mit der Zunge der Weißen sprechen

von Ilja Trojanow

Wäre die afrikanische Literatur eine Familie, dann würde in unserer Zeit die Generation der Enkelkinder ins literarische Rampenlicht treten. Und da diese Literatur (im buchstäblichen Sinne als Schriftlichkeit) noch sehr jung ist, erst mit den Großvätern ihren Anfang nahm, scheint es den Enkeln weder an Aufgaben und Herausforderungen, noch an neuen Wegen zu fehlen. Der deutschsprachige Leser kann sich darüber nur freuen, denn in den letzten zehn Jahren, in dem Zeitraum also, in dem mit Wole Soyinka und Nadine Gordimer zum ersten Mal ein Autor und eine Autorin aus Afrika den Nobelpreis erhielten, hat es eine beachtliche Zahl von Übersetzungen gegeben.

In der internationalen Diskussion um afrikanische Literatur versucht man die Generation nach der Négritude und der politisch-engagierten Literatur einzuordnen, unserer Zeit entsprechend mit Schlagwörtern. 'Intim' wird angeboten, oder 'verspielt'. Abdourhaman Waberi, ein Autor aus Djibouti, der seit zehn Jahren in Frankreich lebt, spricht von einer "Bastardgeneration". Andere von der "Generation nach der Dekolonialisierung". Eines ist vielen der Jungen gemein: Sie leben im (meist westlichen) Ausland und fiktionalisieren die ferne Heimat, erarbeiten sich eine eigene literarische Heimat, die von der Erinnerung und nicht von einem geteilten und miterlebten Alltag gespeist wird. Die Notwendigkeit, sich "Imaginary Homelands" (Salman Rushdie) zu erschaffen, ermöglicht den Autoren eine Loslösung von politischen Forderungen und dem Druck einer täglichen, enttäuschenden und entsetzenden Realität, denen ihre Vorgänger oft ausgesetzt waren. Ihr Schreiben erschöpft sich nicht mehr in einfachen Geschichten oder sozialengagierten Dokumenten. Zwar benötigen afrikanische Autoren dringend Leser -- kein Werkstattgespräch oder Seminar vergeht, ohne daß darüber diskutiert wird, wieso es dem Kontinent an Lesern mangelt --, aber die Reaktion der Autoren auf diesen Mißstand folgt keineswegs den Wünschen mancher Kulturpolitiker, die sich Erbauliches verständlich formuliert wünschen. Im Gegenteil, die jüngeren Autoren versuchen sich an Formen, die der komplexen, quirligen, vielfältigen und vielsprachigen Realität des modernen Afrika besser entsprechen. Bei Dichtern wie Lesego Rampolokeng vermischt sich Anklage mit Gesang, Rap und Gedicht. Und bei Belletristen wie Veronique Tadjo oder Chenjerai Hove hat man den Eindruck, daß auch sie sich auf dem Marktplatz der Lyrik aufgehalten haben, um sich von dem reichen Angebot an Farben, Düften und Geschmäckern inspirieren zu lassen. Der Einheitsrealismus der ersten Jahrzehnte, der heute in allen Schulen unterrichtet wird (die Romane eines Camara Laye, Chinua Achebe oder Ngugi wa Thion'go), wird erweitert um Burlesken, Grotesken, Mythen und Mystifizierungen, um Großstadtromane, die alle Sprechweisen zwischen professoralem Englisch und Handelspidgin umfassen, um traumhafte Kriegstagebücher und intellektuelle Dialognovellen.

Auch ist das Korsett manch alter Diskussion abgelegt. Weder Ben Okri noch Kojo Laing, weder Calixthe Beyala noch Abdourahman Waberi empfinden die Tatsache, daß sie auf Englisch oder Französisch schreiben, als existenzielle Behinderung oder ständiges Referenzmoment. Auch wenn sie nicht dem Verdikt von Chinua Achebe zustimmen, daß man sich an der englischen Sprache für die Kolonialzeit rächen müsse, zweifelt kaum noch einer daran, daß man nicht mit der Zunge der Weißen sprechen muß, wenn man sich ihrer Sprache bedient.

Nun könnte der falsche Eindruck entstehen, die Afrikaner näherten sich ihren europäischen Kollegen an, tauschten das Engagement für ein isolationistisches und unverbindliches Literaturverständnis ein. Niyi Osundare, nigerianischer Dichter und Träger des wichtigsten afrikanischen Literaturpreises NOMA, hat neulich gegen den "postmodernen, post-strukturellen, post-kolonialen, post-Marxistischen und post-humanistischen" Zeitgeist gewettert, der alle Werte und Ideale aus ihrer "menschlichen Relevanz dekonstruiert". Die alten sozialen und erkenntnistheoretischen Rohstoffe wie "Bedeutung, Wissen, Geschichte, Wahrheit, Schönheit und sogar Moral und Gerechtigkeit" seien von theoretischen Unbestimmbarkeiten destabilisiert worden. Osundare beklagt, daß sich die europäische Literatur zu einem arroganten, selbstgenügsamen und ichbezogenen Text hinentwickelt (manch einer würde dazwischenrufen: Schon längst erreicht), einem "dehydrierten, körperlosen Ding, das durch schwülstiges, undurchdringliches Theoretisieren zur Unverständlichkeit getrieben wird." Nicht erstaunlich, daß die afrikanischen Autoren, nach ausländischen Einflüssen befragt, in ihren Antworten die Größen der sogenannten Peripherliteraturen versammeln (eine dubiose Festlegung, da der Urwald des Congo geographisch etwas zentraler als England liegt): Marquez und Fuentes, Toni Morrison und Alice Walker, Poeten aus Japan und Indien, aus der Karibik und aus Osteuropa.

Momentan lassen sich die besten afrikanischen Autoren nach beiden Seiten hin auf keine Kompromisse ein, und das verleiht ihrer Literatur diese schillernde Ausstrahlung.

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