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no. 18: die jüngste epoche
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Was macht die 80er Jahre zu den 80er Jahren?Ein soziologischer Versuch über 'epochemachende' Kommunikation |
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von Lilian Brandtstaetter |
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Ob im Fernsehen, auf Parties oder im Internet -- die 80er sind 'in'. Wie aber kommt es dazu, daß, obwohl so viel Unterschiedliches als das Hervorstechende dieser Dekade betrachtet wird, man doch stets weiß, daß es die 80er sind, um die es geht? Und sind es 'wahre' Beschreibungen von Vergangenem, die sich in der Kommunikation über die 80er wiederfinden lassen? Oder zeigt nicht doch vielleicht diese Kommunikation selbst, daß Geschichte immer nur als ein Horizont fungiert, ein Horizont, der viel stärker auf die Gegenwart verweist, als man es auf den ersten Blick vermuten möchte? |
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"Ob es nun der Raider ist, der jetzt Twix heißt, ein C64, Schwarzwaldklinik, Popper, NDW, Pac Man, J. Lennon, Cola in Glasflaschen, Atari, J.R., Punk, Benetton, Depeche Mode, Live Aid, Tele 5, Tschernobyl, Milli Vanilli, The Waltons, Kabelfernsehen, Magic Knister Brause, Esprit, Atomkraft, AIDS, Gorleben, Wetten daß, Hans Rosenthal, Mauerfall, Kohl, Falco & Jeanny, die Hitler Tagebücher, Barschel, Matthias Rust, The Cure, Nutella aus der Tube, Challenger, Biene Maja, aus 'Tag und Nacht' wurde 'Night and Day', Netzhemden, 'Geil' heißt heute 'porno' oder 'fett', Fönfrisuren, Boss oder Lacoste, Bravo, Musikladen, Ghostbusters, Betty Blue, Nena, Zauberwürfel, Duran Duran, Dallas oder Denver Clan, oder Paulchen Panter, es sind alles Dinge, welche die Welt in den 80er Jahren bewegte[n] und prägte[n]." |
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Auflistungen wie diese gibt es im Internet zuhauf. Die Autoren und Besucher solcher nostalgischen 80er-Jahre-Websites feiern den Zauberwürfel als Kultgegenstand, beweinen den Verlust der Schokonüsse "Treets" und schmunzeln über Schulterpolster und Netzhemden. Ob ihre Aufzählungen wirklich das Markante und Prägnante des Jahrzehnts herausstellen, sei dahingestellt. Von Interesse ist hier vielmehr, daß solche Listen auf eine Kommunikation verweisen, die im Hier und Jetzt die zwischen 1979 und 1989 eingeklemmten Jahre zur 'Epoche' stilisiert und nostalgisch verklärt bis amüsiert nach jenem einheitsstiftenden Besonderen fahndet, in dem sich eine ganze Generation wiederfinden soll. Die Frage ist also, wie sich die Wahrnehmung 'der 80er' in unserer Gegenwart wiederfindet, warum das Vergangene sich in der Gegenwart so oft als das Besondere, als das 'Kultige' zeigt und wie kommunikativ erst erzeugt wird, was dann als das Besondere, das eine ganze Generation Einende behandelt werden kann. |
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Von zentralem Interesse ist hierbei die Frage nach der Anschlußfähigkeit der Kommunikation über die 80er Jahre. Der hier verwendete Kommunikationsbegriff geht explizit davon aus, daß erst das Verstehen einer mitgeteilten Information nachträglich Kommunikation generiert (Niklas Luhmann), daß mithin der Erfolg von Kommunikation vom Rezipienten abhängt. Ein soziologischer Beobachter kann den Sinn einer Kommunikation dann nur über die Beobachtung von Anschlußkommunikationen analysieren bzw. rekonstruieren und wird dabei feststellen, daß es einen Horizont von Kommunikationszusammenhängen geben muß, der bestimmte Anschlußkommunikation wahrscheinlicher macht als andere. |
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Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Douglas Couplands Generation X (1992) und Florian Illies' Generation Golf (2001) befassen sich beide mehr oder weniger mit den 80er Jahren. Und ungeachtet der Unterschiede, die der Vergleich eines Romans (Coupland) mit einer Chronik (Illies) zwangsläufig zu Tage fördert, und ungeachtet der unterschiedlich gesetzten Schwerpunkte der jeweiligen Texte, zeichnet sich eine Differenz ab, die erst über die Analyse der verschiedenen Kommunikationszusammenhänge erklärt werden kann. Denn obwohl beide Bücher -- wenn auch auf unterschiedliche Weise -- die 80er Jahre zum Thema machen, wird als das Spezifische dieses Jahrzehnts je Unterschiedliches angenommen. Coupland stellt auf Lebenslagen bzw. ein Lebensgefühl ab, welches die Protagonisten (und Leser) seines Romans als für die 70er und 80er Jahre paradigmatisch erfahren (sollten). Es geht um die "düstere Realität" (Der Spiegel) dieser Zeit und um eine "verlorene Generation" (Seattle Times). Illies hingegen beschwört mit Generation Golf die 80er Jahre hauptsächlich als Summe besonderer Ereignisse, Themen, Objekte und Personen herauf und versucht auf diese Weise das, was er für die spezifischen Erfahrungen (s)einer Generation hält, zu bündeln. Bei Illies spielen weniger Orientierungen oder Einstellungen, wie sie in Generation X zum Tragen kommen, die zentrale Rolle, sondern Einzeldinge und Einzelereignisse, an die man sich erinnern können soll. |
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Beide Bücher haben also eine ziemliche genaue Vorstellung von 'den 80er Jahren', und diese Vorstellung unterscheidet sich von der jeweils anderen. An dieser Stelle könnte man sich freilich damit zufrieden geben, daß die 80er nun einmal für vieles stehen, für eine "verlorene Generation" ebenso wie für bestimmte ereignishafte Details. Aber an diesem 'für etwas stehen' zeigt sich ja bereits, daß die Zeitspanne zwischen 1979 und 1989 erst über Zuschreibungen als eine bestimmte Epoche konstruiert werden kann. Es wird also nicht das 'Wesen' der 80er auf unterschiedliche Weise sichtbar gemacht, sondern das Sichtbarmachen selbst produziert, was als prägnant für die 80er Jahre gelten soll. Somit dient diese Epoche nur als Verpackung bzw. als Behältnis, in welches je Unterschiedliches paßt. Aus soziologischer Perspektive zeigen sich die 80er Jahre bloß noch als Chiffre für eine Semantik, für einen Horizont von kommunikativen Anschlußwahrscheinlichkeiten. |
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Nicht die ungleiche Thematisierung der 80er macht also den grundlegenden Unterschied aus, sondern die zeitlich gebundene Anschlußfähigkeit beider Bücher. Denn der Erfolg, den die Texte bei ihren Lesern jeweils hatten bzw. haben, hängt von der jeweiligen Gegenwart der Rezipienten ab und nicht von der Vergangenheit des Erzählten. Demzufolge hätte Generation Golf um 1990 nicht 'funktioniert', und Generation X wiederum ist heute anders anschlußfähig als vor 10 Jahren. Als Couplands Buch 1992 erschien, war es noch so nah an den 80er Jahren dran, daß man es noch als Gegenwartsbeschreibung dieser Epoche auffassen kann. Und daß Generation X offensichtlich ein Lebensgefühl kommunizierte, mit dem sich eine Vielzahl junger Menschen unmittelbar identifizieren konnten, spricht für diese Annahme. Heute hingegen mögen ähnlich viele Menschen einen ganz besonderen Bezug zu diesem Buch haben, doch dieser speist sich eher aus Erinnerungen denn aus aktuellen Gefühlen der Zugehörigkeit. Komplementäres gilt für Generation Golf. Denn der Informationswert von Illies' Chronik ergibt sich nicht aus der bloßen Auflistung von Dingen, Ereignissen, Personen etc., sondern aus einer semantischen Überformung dieser Daten. Illies möchte eine Generation ansprechen und sichtbar machen, die in den 80ern ihre Jugend verlebte und sich heute an diese Zeit als an eine besondere (im Guten wie im Schlechten) erinnern kann. Wäre Generation Golf zur gleichen Zeit wie Generation X erschienen, hätte sich wohl kaum ein nennenswerter Leserkreis gefunden, denn Illies' Zielgruppe ist explizit eine Generation, die es um 1990 noch gar nicht gab, zumindest nicht als Generation, die als solche ansprechbar gewesen wäre. |
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Der Vergleich dieser beiden Bücher zeigt also, daß die 80er Jahre hauptsächlich als Verweisungshorizont anschlußfähiger Kommunikation dienen, die mehr über unsere aktuelle Gegenwart aussagt als tatsächlich über 'die 80er Jahre'. Besonders an Generation Golf wird deutlich, daß die semantische Überformung historischer Details im Hier und Heute stattfindet. |
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Nun ist mit dieser Beobachtung aber noch nicht viel gewonnen -- offen ist nach wie vor, warum diese spezielle Semantisierung der 80er Jahre so gut funktioniert. Daß sie es tut, wird deutlich, wenn man die aktuelle Kommunikation über 'die 80er' genauer betrachtet. Dann nämlich fällt auf, daß ein grundsätzlicher Konsens über die Bedeutung spezifischer Gegenstände, Musiken, Personen oder Ereignisse der 80er Jahre gar nicht nötig zu sein scheint, um 'die 80er' als einen besonderen Verweisungshorizont anzuerkennen. Wenn man beispielsweise die unterschiedlichen Rezensionen zu Generation Golf bei Amazon vergleicht, so stellt man fest, daß viele Leser nicht ohne weiteres an Illies' Buch anschließen können. Viele identifizieren andere Daten als das Spezifische jener Zeit, erinnern andere Ereignisse und Details als der Autor und werfen ihm vor, ein ungenaues Bild dieser Dekade gezeichnet zu haben. Inwiefern diese Kritiken zutreffen, ist hier nicht relevant. Vielmehr zeigt auch die schärfste Kritik, daß sie noch innerhalb desselben Horizonts steht wie Illies' Buch. Denn auch und gerade Differenzen im Blick auf 'die 80er' zeigen letztlich, daß die Kommunikation innerhalb eines Zusammenhangs stattfindet, der 'die 80er' als Projektionsfläche bereits etabliert hat. Es scheint für das Gelingen der Kommunikation keine Rolle zu spielen, welche Details denn nun als typisch für jene Dekade gelten dürfen: Für die einen sind es Popper für die anderen Punks, manche schwärmen von DAF, andere wieder preisen Nicole; doch alle kommunizieren sie über 'die 80er Jahre'. Mögen also die einzelnen Zuschreibungen auch unterschiedlich ausfallen, so sind doch die Zuschreibungspraktiken identisch -- stets bewegt sich die Kommunikation über 'die 80er Jahre' innerhalb des grundsätzlichen Einverständnisses, daß selbst differente Aussagen über 'die 80er' noch Aussagen über 'die 80er' sind. Es muß also etwas geben, das über den konkreten Inhalt der Kommunikation hinaus einen Verweisungszusammenhang her- bzw. bereitstellt, innerhalb dessen auch Dissens über die Besonderheiten jener Zeit möglich ist. |
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Meiner Beobachtung nach sind es die Massenmedien -- allen voran das Fernsehen --, die zur Entstehung dieser spezifischen 80er-Jahre-Semantik einen wesentlichen Beitrag geleistet haben und immer noch leisten. Im Fernsehen -- und ich denke hier vor allem an Quotenschlager wie zum Beispiel die 70er- und 80er-Jahre-Shows -- werden wir mit bunten Bildern, Zitaten und Markenartikeln konfrontiert, deren Informationswert hauptsächlich darin besteht, Erfahrungen zu simulieren: Erfahrungen, die das Publikum im Nachhinein als seine eigenen ausgeben kann. Interessant daran ist vor allem, daß offensichtlich eine gemeinsame Erfahrungslage, wie sie der Vater der Generationentheorie Karl Mannheim noch postuliert hat, gar nicht mehr nötig zu sein scheint, um (sich als) eine Generation zu beschreiben. Für Mannheim, dessen Diktum von der "Seinsgebundenheit des Wissens" eine unaufhebbare Verbundenheit von Bewußtsein und sozialem Standort voraussetzte, ist eine Generation durch kollektiv erfahrene Ereignisse gekennzeichnet und weist gewisse soziale Gemeinsamkeiten auf. Über bestimmte politische und gesellschaftliche Erlebnisse (wie z.B. Krieg, Nachkriegszeit, wirtschaftliche Krisen oder Zeiten des Wohlstands) werden Generationszusammenhänge geformt, welche die Verhaltensdispositionen und Einstellungen einer Generation beherrschen und diese charakterisieren. Das Wissen, das eine Generation von sich hat, ergibt sich aus Mannheims Perspektive also als Resultat gemeinsam erfahrener sozialer Dispositionen. |
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Demgegenüber erscheint das Wissen, das die Generation der '80er' (also der zwischen ca. 1965 und 1975 Geborenen) als generationsspezifisches Wissen zu haben glaubt, als Resultat eines kollektiven Gedächtnisses, das durch die Massenmedien, bzw. durch die dort stattfindende historische Fixierung, erst nachträglich erzeugt wird. Man könnte im Gegensatz zu Mannheim statt von einer 'Seinsgebundenheit des Wissens' von einer 'Screengebundenheit des Wissens' sprechen. Auf Mattscheibe und Computerbildschirm werden jene stabilen Muster produziert, die als Erfahrungswerte in die gesellschaftliche Semantik eingehen. Freilich sind auch die Massenmedien auf mehr oder weniger konkrete Erinnerungen ihres Publikums angewiesen. Es gab sie ja wirklich, die Objekte und Personen, die zitierbaren Sätze und erinnerbaren Ereignisse. Doch die Identifikation solcher Bilder und Texte mit einer speziellen Bedeutung bringen die Zitierbarkeit und Erinnerbarkeit erst hervor -- und erfinden damit die 80er Jahre neu! |
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Ich gestehe, daß ich selbst ins Schwärmen gerate, wenn ich zum Beispiel an das Tele-Tennis-Spiel auf dem alten Schwarzweißfernseher meiner Eltern denke -- und es befremdet mich doch sehr, dieses Spiel nun auf meinem PC wiederbeleben zu können. Wie auf einem TV-Bildschirm geht es zwar auch hier um das stupide Hin und Her eines kleinen weißen Quadrats, und auch der Ton, jenes eintönige Klicken, ist zu hören, dennoch ist es einfach nicht dasselbe Spiel, obwohl es genau das letztlich ist. Nicht das (ziemlich primitive) 'Telegame' selbst ist es also, dem die Faszination gilt, sondern das, wofür es steht; für eine Zeitspanne nämlich, die hinreichend lang zurückliegt, um sich ihrer als einer abgeschlossenen 'Epoche' erinnern zu können. Es würde aber zu kurz greifen, die Faszination, die von dem Spiel heute ausgeht, nur mit der Verklärung bzw. Idealisierung des Vergangenen, jenem "Ach! Damals ..." zu erklären. Bemerkenswert ist vielmehr, daß dieses Spiel unter dem Titel "80er Tele-Tennis" auf der Site zu Oliver Geißens 80er-Show zu finden ist und also in einem Kontext steht, der den Spielvorgang als spezifische 80er-Jahre-Erfahrung ausgibt. Die Massenmedien stellen also bestimmte Erfahrungen als Erfahrungen erst zur Verfügung und liefern mithin eine Interpretation von Geschichte, deren Ästhetik man sich kaum entziehen kann. Es sind eben nicht konkrete Erfahrungslagen (Mannheim), die die Wahrnehmung der Vergangenheit konstituieren; vielmehr entwickeln die Symbole, die als für 'die 80er' spezifisch ausgegeben werden, gegenüber dieser Dekade einen ästhetischen Eigenwert. Es ist ein ästhetischer Zusammenhang von Bildern, Figuren, Zitaten und Objekten, der die 80er-Jahre-Kommunikation in den Massenmedien stabil hält und dabei die erlebte Geschichte in eine neue -- ästhetische -- Ordnung fügt. |
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Die durch massenmediale Kommunikation so anschlußfähig gemachte 80er-Jahre-Semantik ist also Ergebnis einer Ästhetisierung von Geschichte, welche biographische Gemeinsamkeiten durch Symbole ersetzt, deren Bedeutung dem kollektiven Gedächtnis mehr und mehr eingewöhnt wird. Dieses gewohnheitsmäßige Erinnern zeigt sich denn auch am Beispiel des Tele-Tennis, welches bereits in den 70er Jahren auf heimischen Fernsehgeräten viel gespielt wurde und also kein Phänomen genuin der 80er Jahre war. Daß dieses Spiel dennoch 'die 80er' ins Gedächtnis ruft, läßt sich mit der (auf www.freitag.de gefundenen) Formulierung des 'routinierten Erinnerns' beschreiben: Fernsehen, Internet und Presse erzeugen Erinnerungsroutinen, die 'die 80er Jahre' als realen Erfahrungszusammenhang vortäuschen, und blenden gleichzeitig aus, daß es sich dabei um simulierte Erfahrungen handelt. Nicht ein Objekt -- in diesem Falle das Tele-Tennis-Spiel -- produziert Erinnerungen, vielmehr ist es die stete Wiederholung eines ästhetischen (und eben nicht: historischen) Zusammenhangs von Einzelereignissen, die das Spiel als 'Souvenir' der 80er Jahre erscheinen läßt. |
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Auch die jüngst die Mattscheibe heimsuchenden 'Ostalgie-Shows' lassen sich übrigens als Ergebnis solcher Erinnerungsroutinen deuten, in deren Kontext nun auch die ehemalige DDR neu erfunden werden kann. Es sprechen gute Gründe dafür, daß auch diese Sendungen im Fahrwasser einer längst etablierten Ästhetisierung von Geschichte schwimmen. Zitate wie zum Beispiel "Ob Spreewaldgurken, Ampelmännchen oder Rennpappe: Der Osten war und ist Kult!" (zu finden auf der Ostalgie-Page des ZDF ) funktionieren nur in einem Zusammenhang, der die ästhetische Verknüpfung von Einzelereignissen bereits latent halten, also auf einen Wissensvorrat zurückgreifen kann, in dem die Zumutung, sich zum Beispiel der "Rennpappe" als einer Besonderheit zu erinnern, keine Zumutung mehr ist. Auch hier werden also massenmedial Erfahrungen simuliert, die von vielen unserer ostdeutschen Mitbürger als ihre eigenen angenommen werden können. |
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Es soll hier freilich niemand seiner Erinnerungen beraubt werden. Und ebensowenig geht es darum, 'falsche' Erfahrungen zu entlarven oder gar zu brandmarken. Ganz im Gegenteil ist ja die zunehmende Ästhetisierung von Vergangenem nichts weniger als ein relevanter Aspekt gesellschaftlicher Wirklichkeit -- nur eben der heutigen und nicht der damaligen. Man kann also über eine Analyse, wie sie hier angestellt wurde, zwar nicht herausfinden, wie denn die 80er nun wirklich waren. Aber man kann immerhin sichtbar machen, daß Auflistungen, wie jene am Anfang dieses Textes, nicht zwingend das tatsächlich "Prägende" und "Bewegende" eines Jahrzehnts beschreiben, sondern vielmehr Bestandteil einer Semantik sind, die immer schon weiß, was bzw. wie 'die 80er Jahre' sind -- und nicht etwa: waren. Diese historische Details ästhetisch überformende Semantik, sprich: die Ästhetisierung von Geschichte, sagt also nichts über die 'Wahrheit' der Vergangenheit aus, sondern steht für ein Wissen, daß die Gegenwartsgesellschaft von sich selber produziert. Wie bereits angedeutet wurde, macht die nachträgliche Fixierung historischer Details eine gemeinsam erlebte Vergangenheit insofern überflüssig, als von Fernsehen, Internet und Presse Interpretationen zur Verfügung gestellt werden, die sich an der 'sozialen Wirklichkeit' vergangener Tage nicht zu orientieren braucht. Über die massenmediale Simulation von Erfahrungen in Form erinnerbarer Objekte, Ereignisse etc. fertigt die Gegenwartsgesellschaft also Beschreibungen von sich selbst an, die der 80er Jahre letztlich nur noch als Kontrastfolie bedürfen. |
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autoreninfo
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Lilian Brandtstaetter Dozentin am Insitut für Soziologie, LMU München. Studierte Soziologie, Philosophie und Sozialpsychologie in München. Arbeitet an einer Promotion zu Expertenkommunikation.
Homepage: http://www.lrz-muenchen.de/~brandtstaetter/ E-Mail: lilian.brandtstaetter@soziologie.uni-muenchen.de |
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