parapluie elektronische zeitschrift für kulturen · künste · literaturen -> übersicht | archiv | suche
no. 6: x. generation -> ausgegraben
 

ausgegraben

Federico Mompou

von Andreas Daams

Es gibt Namen, zu denen braucht man gar keine Personen. Federico Mompou ist so ein Name. Wenn einem dieser Name aus dem Mund hinausschlüpft, dann singt man. Die Laute, die diesen Namen bilden, verstummen nicht; man kann sich vorstellen, wie die letzte Silbe immer noch weiterklingt, wenn das Publikum schon längst mit dem Anlegen der Jacken und Mäntel beschäftigt ist.

Ein Mensch mit dem Namen 'Federico Mompou' müßte eigentlich weltbekannt sein. Ein Zauberkünstler, ein Regisseur, ein Außenminister könnte so heißen; ein Name, der dessen Inhaber in die Verantwortung trägt.

Federico Mompou lebte von 1893 bis 1987. Er war Komponist. Es ist nicht einfach, etwas über ihn herauszufinden außer nackten Daten: geboren in Barcelona, studierte er zunächst Klavier in Paris, dann Harmonielehre. Ab 1913, so steht es im MGG, "betätigte er sich hauptsächlich als Komponist". Er kehrte nach Barcelona zurück, reiste nach dem ersten Weltkrieg wieder nach Paris, um vor dem zweiten Weltkrieg nach Barcelona zurückzukehren, wo er bis zu seinem Tode blieb.

Nun: er betätigte sich hauptsächlich als Komponist. Aber wie hielt er sich über Wasser? Wovon lebte er? Von seiner Musik etwa? Schrieb er Musik für Millionen, um Millionen für sich zu machen?

Nein. Wohl kaum.

Seine Música Callada (Schweigende Musik? Schweigsame Musik?) ist nun in den letzten Jahren mehrfach eingespielt worden: Klaviermusik; kurze Stücke, die von einer Geste leben, selten stören Taktstriche den kurzen Tonfluß, keine Modulationen abstrahieren die musikalischen Gedanken. Wie will man mit so etwas die Herzen der Impresarios erobern? Wie will man dafür sorgen, daß berühmte Dirigenten diese Musik entdecken? Klaviermusik! Lieder! Und wieder Klaviermusik! Kein Stück nimmt mehr Platz ein als drei Seiten! Musik gegen die Virtuosen! Was schreiben denn die CD-Hersteller zu Mompous Musik?

Ach, da fallen wieder einmal Namen. Namen, die Bedeutung haben, die irgend etwas verkörpern, epochale Namen: Debussy wird genannt, Satie, gar eine ganze Gattung: Minimalismus. Soll da etwa ein wenig Glanz von Debussy auf Mompou abfallen? Und wie steht es mit dem Minimalismus im Jahre 1913? Das ist ja ganz erstaunlich! Ob Steve Reich je von Mompou gehört hat? Immerhin werden Kastagnetten und Stierkampf schon einmal nicht erwähnt. Offenbar ein untypischer spanischer Komponist, dieser Mompou.

Junge Mädchen im Garten, heißt eines der vielen Klavierstücke von Mompou. Beginnt man damit, es ganz zart klingen zu lassen, erhebt sich der Sturm der Wissenden. "Das ist ja Impressionismus", schreien sie, und dabei wollten wir doch in aller Ruhe das Stück anhören. Was ist Impressionismus? Monet, Manet, Money?

Alexandre Tansman, ein Studienfreund Mompous, selbst in deutschen Landen unbekannt, setzte einige von Mompous Klavierstücken für Orchester, darunter das 'Mädchen'-Stück. Er machte seine Arbeit ganz zauberhaft. Wer hören will, was Instrumentation eigentlich bedeutet, sollte sich diese Bearbeitungen anhören. Natürlich kann man an impressionistische Gemälde denken, wenn man Junge Mädchen im Garten hört. Man kann aber auch an junge Mädchen im Garten denken. Man kann sie kichern hören. Man kann sie dampfen sehen. In den späteren Stücken Mompous kichern und dampfen dann keine Mädchen mehr, da ist die Musik ernst geworden; sie verblaßt, während sie erklingt. Das Kichern wird in ihnen zur musikalischen Ikone. Obwohl spartanisch gehalten, glänzen diese Stücke doch wie Gold. Jeder Ton hat eine Bedeutung. Man kann stundenlang die Noten durchblättern und findet nicht eine einzige Füllnote, nicht einen Akkord, der überflüssig wäre. Alles ist so, wie es sein sollte.

Die Música Callada ist Mompous Hauptwerk. Im Vorwort zu seinem einzigen Orchesterwerk (und dann auch noch mit Chor), den Impropriae, schreibt er: "Ich hatte nicht die Absicht, meine früheren Arbeiten zu übertreffen. [...] Trotz seiner größeren Dimensionen halte ich [die Impropriae] nicht für besser als meine Charmes oder meine Música Callada, wo meine Musik ihre wahrhaftigste Ausprägung findet."

Wo andere Komponisten Sinfonien schreiben, genügt Federico Mompou ein Zyklus von Klavierstücken, für deren Entstehung er ein knappes Jahrzehnt (ca. 1959-1967) benötigt hat. Hat man das erste Stück dieses Zyklus' einmal gehört, vergißt man es nie wieder. Ja, noch besser: man kannte es schon vorher. Es ist, als ob man sich erinnert. Das erste Stück heißt Angelico. Das ist italienisch und heißt übersetzt: engelhaft. Vielleicht sollte man sich weiß kleiden, wenn man diese Musik hört. Die folgenden Stücke haben kaum noch Namen. Sie heißen II (Lento) und VI (Lento) und IX (Lento). Sie schweigen sich durch den Lauf der Zeit.

Die Música Callada ist wie die letzte Silbe des Namens Federico Mompou. Wenn das Publikum des großen Welttheaters nach Hause gegangen ist und die Riegel am Eingangsportal zugefallen sind, stehen auf der Bühne immer noch die Engel und rufen kaum hörbar nach dem Komponisten ihres kleinen Paradieses.

Federico Mompous Musik wurde von französischen Verlagen verlegt und ist damit sehr teuer, aber zumindest erhältlich.

Einen preiswerten Einstieg bietet der Musikdiscounter Zweitausendeins mit einer Einspielung der Música Callada durch Alan Marks.

Beim Durchforsten des Internets nach Spuren von Federico Mompou stößt man erstaunlich oft auf japanische Einträge. Möglicherweise ist Mompou in Japan ein recht beliebter Komponist. Hierzulande sollte er es auch werden.

[ druckbares: HTML-Datei (6 kBytes) | PDF-Datei (36 kBytes) ]

copyright © 1997-2012 parapluie & die autorinnen und autoren. alle rechte vorbehalten.
issn 1439-1163, impressum. url: http://parapluie.de/archiv/generation/ausgegraben/