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elektronische zeitschrift für kulturen · künste · literaturen ![]() |
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no. 1: seeweg indien
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editorial |
"auf dem meer verwirrte er die schiffe mit dem wörtchen parapluie", heißt es in einem Gedicht von Hans Arp, das unversehens dieser Zeitschrift den Namen gibt. |
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Den Namen einer Kulturzeitschrift, denn Kultur ist etwas, das auf dem offenen Meer stattfindet, weshalb Verwirrung vonnöten ist, damit niemand sein Schiff mit dem Festland verwechselt. Wenn Verwirrung dann Kollisionen auslöst, kann dies nur bedeuten, daß eine flexiblere Handhabung des Steuerruders bei Bestimmung eines neuen Kurses längst angebracht gewesen wäre. Im Bild ist mitinbegriffen, daß auch der Schiffbruch zu den Möglichkeiten der Kultur gehört, wobei der Plural der Schiffe die Hoffnung auf Rettung andeutet. Manch einer wäre jedoch womöglich mit seiner Planke untergegangen, wenn nicht ein fremdes Schiff in seine Richtung vom Kurs abgekommen wäre. Hoffnung also auf ein klein wenig rettende Verwirrung. |
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Auch die gängigen Indienbilder bewegen sich zunehmend in eingefahrenen Bahnen, die über Exotismen oft nicht hinausgelangen und nach anderen Blickwinkeln als den gewohnten verlangen, um eine Flaute zu beenden. |
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Kaum ein Land Asiens muß immer noch in so extremem Maße für die Projektion westlicher Wünsche herhalten, wie Indien, und niemand braucht sich zu wundern, daß diejenigen, die stets auf die Suche nach sich selbst gehen, am Ende nur sich selbst finden. -- So erhöht jede Wiedergeburt die Möglichkeit der Selbstbespiegelung und macht das eigene Ich weltweit unendlich interessant. |
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Auf was es aber jenseits dieser Nabelschau den Blick zu lenken gelte, ist eine Frage, die nicht eindeutig beantwortet werden kann. |
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Die Konstruktion eines objektiv gegenüberliegenden Anderen, die Illusion vom Seziertisch im keimfreien Kulturlabor, verspricht wenig Aussicht auf Erfolg. Die Überlegung, in welche Richtung Indien zur Zeit kulturell, politisch wie religiös tendiert, kann nur zu einem Ergebnis kommen, wenn sie die Wechselwirkungen berücksichtigt, die spätestens seit der Kolonialherrschaft Großbritanniens zwischen Indien und Europa bestehen. Jede klare Trennung bedeutet zugleich eine deutliche Verzerrung. |
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Es gilt also, eine interkulturelle Perspektive einzunehmen, die vor dem Abgleiten in eines der vorgefertigten Raster bewahrt, innerhalb derer jedes Nachdenken notwendig einseitig bleiben muß. Nur durch Offenheit für die unterschiedlichen Richtungen läßt sich Bewegung in erstarrte Formen bringen und bleibt der Navigation auf hoher See die Möglichkeit des Umwegs belassen. In diesem Bewußtsein bilden die Indien-Artikel der ersten Ausgabe von parapluie eine Reihe von nebeneinander stehenden Perspektiven, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben will, sich aber offen genug hält, um Verwirrung zu stiften. |
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Alexander Schlutz |
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autoreninfo
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Dr. Alexander Schlutz leitet die parapluie-Redaktion, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Bonn, Tübingen und Seattle, und unterrichtet zur Zeit Englische Literatur am John Jay College of Criminal Justice in New York City.
E-Mail: alexander.schlutz@parapluie.de |
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