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no. 15: systemversagen
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Die Spielplätze der Disziplinierten |
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von Holger Ehrich |
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Mögen Sie Vergnügungsparks? Den Kitzel im Magen beim Sturz in die Tiefe und das Spritzen des Wildwassers? Das moderne Vergnügen wird geprägt von der Inszenierung des Milieus und dem kontrollierten Spiel mit der Katastrophe. Die Faszination von Technik und Organisation, die ihre Perfektion gerade durch die Inszenierung des Fehlers erweist, garantiert beste Unterhaltung, so scheint es, durch das Versprechen von Abenteuer ohne Reue. |
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Ich betrete gemeinsam mit einigen hundert Gästen einen großen Theatersaal. Uns erwartet eine einmalige Präsentation: erstmals wird eine Strahlenkanone demonstriert, die Objekte schrumpfen kann. Der Vorhang öffnet sich, und nach wenigen Minuten stockt dem Publikum tatsächlich der Atem, denn die Vorführung gerät völlig aus dem Ruder. Versehentlich wird der Zuschauerraum samt Inhalt, also uns, auf Schuhkartongröße geschrumpft. Erst nach einigen nervenzerrenden Gefahrensituationen, wie der Attacke einer riesigen, nicht geschrumpften Schlange, werden wir wieder auf Normalgröße gestrahlt. |
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Die zurückmutierten Gäste wanken ins Freie, sie waren Zeugen einer einmaligen Vorstellung voller überraschender Pannen und Unfälle. Sobald sich aber die Türen hinter ihnen geschlossen haben, füllt sich der Saal mit frischen Besuchern, die genau die gleiche Katastrophe erleben werden: Wir befinden uns in Disneyland, dem Reich der ewigen Wiederholung des Einzigartigen. |
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Bei der beschriebenen Vorstellung handelt es sich um die Attraktion "Honey I Shrunk The Audience". Um eine unterhaltsame Inszenierung des totalen Technikversagens zu bieten, kommt hinter den Kulissen avancierte, eigens zu diesem Zweck entwickelte Technik zum Einsatz. Das Geschehen auf der Bühne wird von einem 3D Film geliefert, zu dem der gesamte (!) Saal hydraulisch bewegt wird, Mehrkanalton und In-Theatre-Effects verstärken die Wirkung. |
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Der Besucher weiß von dieser Illusionsmaschine und verläßt sich auf ihre Sicherheitsgarantie. Gleichzeitig genießt er die Überraschungen und das Spiel mit dem Unerwarteten, den Thrill des Beinahe-Unfalls, die Lust am Zusammenbruch des technischen Systems. |
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Ein Teil der Faszination von Themenparks liegt in ihrer Verknüpfung von High-Tech hinter den Kulissen und greifbaren, begehbaren, erfahrbaren Außenwelten. Wie eine Benutzeroberfläche auf dem Computermonitor kreieren sie ein freundliches Interface. Während im Hintergrund perfekte Organisation herrscht, erschafft die Oberfläche ein Reich der Wunder, Überraschungen und spielt häufig mit dem scheinbaren eigenen Absturz. Einige Aspekte dieser faszinierenden Welten können auf dem folgenden virtuellen Ride näher bestaunt werden. |
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Bitte nehmen sie Platz, der Sicherheitsbügel schließt selbsttätig. |
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Das Konzept des modernen Themenparks zeigt sich erstmals 1955 mit der Eröffnung von Disneyland. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der traditionelle Vergnügungspark in den USA im Niedergang. Walt Disney folgt scheinbar gegen diesen Trend seiner Obsession und läßt sein Team eine neue Version dieser Parks konzipieren. Dabei fließen Elemente verschiedener Institutionen in die Gestaltung ein: Museen, Weltausstellungen, öffentliche Gärten, Theater, Kinos und eben auch Vergnügungsparks. Disneyland wird stilbildend für das ganze Genre und nimmt darüber hinaus Tendenzen vorweg, die sich heute in anderen öffentlichen Räumen zeigen. |
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Themenparks zeichnen sich zunächst äußerlich dadurch aus, daß ihre Bereiche konsequent nach bestimmten Themen gestaltet sind, und zwar auf allen Ebenen. Wenn beispielsweise Phantasialand in Brühl das Berlin der Jahrhundertwende wiederauferstehen läßt, wird nicht nur die entsprechende Architektur im Maßstab 1:2 imitiert, aus Lautsprechern rieselt auch passende Musik, die Angestellten sind kostümiert, Kutschen fahren durch die Straße, im Wintergarten wird Varieté gegeben, und hinter dem Brandenburger Tor steht ein Dampfkarussell. Dabei wird in derartigen größeren Parks technisch und künstlerisch großer Aufwand betrieben. Auch die Attraktionen, Kernstücke der Parks, sind in die Themenbereiche eingebunden, eine Achterbahn etwa wird im Wilden Westen als außer Kontrolle geratener Minenzug gestaltet. Darüberhinaus ist in den avancierteren Parks, wie denen des Disney Konzerns, aber auch hierzulande etwa im Europapark und Phantasialand, in die gesamte Anlage eine Dramaturgie eingeschrieben, so daß der Besuch narrativisiert wird. Der Eingangbereich bildet die Exposition, von der aus sich der Gast für einen Weg entscheidet, angezogen von visuellen Magneten in der Ferne. Dort erlebt er kleine Abenteuer, fliegt etwa als Weltraumtourist ins All oder geht als Gast von Kapitän Nemo auf Tauchfahrt usw.. Verstärkt wird das dramaturgische Design durch die Auswahl der Themen, die meistens auf bekannte Mythen und Geschichten Bezug nehmen. Der derart mit Narrativen aufgeladene Besuch wird so zu einem persönlichen Film, in dem der Zuschauer selbst die Hauptrolle spielt. |
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Die phantastischen Welten und die in ihnen zu erlebenden Thrills werden gewöhnlich für die Faszination der Themenparks verantwortlich gemacht: In unserer an Abenteuern armen Welt bieten die Parks den Kick, der im Alltag fehlt, so die Hypothese. Sie hätten mithin eine Kompensationsfunktion in einer von Sicherheit und (Selbst-)Kontrolle geprägten Welt. Wer sich ganz weit aus dem Fenster lehnen will, erkennt im Themenpark gar ein Moment der karnevalesken Umkehr unserer Gesellschaft, ein Reich, in dem sinnfreies Spiel statt Leistungszwang herrscht, Phantasie statt Effizienz, in dem jeder König für einen Tag ist. |
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Doch ein zweiter Blick auf den Themenpark zeigt ein anderes Bild: ein Land der Drehkreuze und Überwachungskameras, des Schlangestehens in vorgeschriebenen Absperrungen und der vorproduzierten Erlebnisse aus der Konserve. Jede Entdeckung gelenkt, jeder Schritt überwacht, jede Überraschung wird hundertmal am Tag reproduziert. Themenparks sind strategische Räume, in denen die Gestaltung ein bestimmtes Besucherverhalten vorschreibt. Mehr noch: sie sind so auf das zu erwartende oder beobachtete Verhalten zugeschnitten, daß die Besucher sich zwanglos in den gegebenen Rahmen einfügen. Sich den Regeln zu widersetzen, ist nicht nur schwierig, sondern auch sinnlos: nur wer sie befolgt, bekommt den optimalen Genuß. Sind Themenparks also vielmehr Modelle der perfektionierten Disziplinargesellschaft als Enklaven der Phantasie? |
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Um darüber Klarheit zu gewinnen, reisen wir in die Vergangenheit. Es geht abwärts -- halten sie sich fest! |
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Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert begegnen wir in Europa einem Verwandten des Themenparks: dem Vergnügungspark. In unserem Zusammenhang ist besonders interessant, daß es sich bereits bei ihm historisch um eine Art domestizierten Jahrmarkt handelt. |
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Das Treiben auf den Jahrmärkten und Kirmessen lief bürgerlichen Wertvorstellungen wie Sparsamkeit, Familiensinn und Disziplin zuwider. Hier wurde vielmehr der Spaß im Augenblick gesucht, über die Verhältnisse Geld verschleudert, maßlos dem Alkohol zugesprochen und sexuell freizügiger gehandelt. Breite Teile der Bevölkerung, insbesondere die Arbeiterklasse, hatten die bürgerlichen Tugenden alles andere als verinnerlicht, was nicht überrascht, bedenkt man deren unterschiedliche Lebensbedingungen. Wem die sicheren Perspektiven des bürgerlichen Lebens fehlen, der lebt augenblicksorientierter. Zeitgenössische Kommentare sparen nicht mit Brandmarkungen des Jahrmarkts als Stätte des Lasters und potentieller Keimzelle des Aufruhrs. Neben vielen Versuchen, die Jahrmärkte gesetzlich zu reglementieren, ist auch das Aufkommen der festinstallierten Vergnügungsparks als Strategie zu sehen, dem unkontrollierten und unkontrollierbaren Freizeitvergnügen eine sittsame und geregelte Alternative entgegenzusetzen. Vergnügungsparks befanden sich meist in der Hand eines Veranstalters mit gutem Ruf und einer behördlichen Genehmigung. Diese Parks waren von ihrer Struktur her automatisch kontrolliert: ein abgegrenztes Gelände mit Eintritt und festen Öffnungszeiten. Neben Gastronomie und Vergnügungen im Stil der Jahrmärkte finden sich hier übrigens zahlreiche technisch avancierte Attraktionen, die ganz ähnlich in heutigen Themenparks wieder auftauchen. Inhaltlich wurden hier Fortschritt und Modernität gefeiert, strukturell herrschte der kontrollierte Zeitvertreib. |
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Die Vergnügungsparks lagen in ihrer Funktion in einer Tradition mit anderen Institutionen des gesellschaftlichen Fortschritts, wie etwa Museen, öffentlichen Gärten und Bibliotheken, Theater und Versammlungsstätten. Tony Bennett erläutert am Beispiel Englands, welche Reformen zum Ende des 19. Jahrhunderts den staatlichen Umgang mit der Kultur veränderten. Bis dahin wurde seitens der Herrschenden versucht, die Kultur der zu regierenden Klassen, ihr Verhalten, ihre moralischen Grundsätze, ihren Glauben durch Kontrolle und Repression zu regulieren und zu transformieren. Jetzt begannen Reformer hingegen, die Werke und Institutionen der 'hohen Kultur' als Instrument zur 'Zivilisierung' der gesamten Bevölkerung einzusetzen. Statt die äußere staatliche Regulierung zu optimieren, um die gewünschten Verhaltensweisen zu erzwingen, sollten nun diese Ziele erreicht werden, indem sie in die Fähigkeiten zur Selbst-Regulierung der Individuen eingeschrieben wurden. Durch kulturelle Angebote versuchte man zum Beispiel, die Arbeiter zur selbstgewählten Abkehr vom sonntäglichen Müßiggang und Alkoholmißbrauch zu bewegen |
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Zwar kamen auch zuvor kulturelle Praktiken wie königliche Zeremonien oder Theateraufführungen im Dienste der Herrschaft zum Einsatz -- jedoch als eine periodische Demonstration der Macht, bei der die Bevölkerung passiver Zuschauer war. Im modernen Machtdispositiv beruht die Funktion der Kultur hingegen auf der Partizipation. Während die periodische Zurschaustellung der Macht durch die Kultur nur an die Möglichkeit der repressiven Ausübung der Macht erinnert, führt die aktive Beteiligung an der ständig im Alltag präsenten Kultur zu einer dauerhaften Transformation von Verhalten und Moral der Bevölkerung. So wird schließlich die offene Repression im Regelfall des Alltags überflüssig. |
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Dabei repräsentieren öffentliche Einrichtungen wie Museen, Zoos, Gärten oder Bibliotheken einerseits Bildungsideale und befördern den gesellschaftlichen Fortschritt gemäß der bürgerlichen Wertvorstellungen durch Wissensvermittlung. Darüberhinaus vermitteln sie bestimmte Verhaltensnormen und üben sie ein. Wie im berühmten Panoptikum, dem Gefängnis, mit dem Michel Foucault die Veränderung durch Überwachungsmechanismen beschrieb, wird im Museum die offene personelle Kontrolle, etwa in Form von Museumswärtern und Führungen, abgelöst durch entpersonalisierte Kontrolle. Die offene Architektur der Ausstellungen führt dazu, daß der Besucher sich ständig potentiell überwacht weiß und sich in diesem Wissen selbst kontrolliert. Tony Bennett zeigt ausführlich am Beispiel von Museen und Weltausstellungen, wie diese Strukturen als gesellschaftspädagogische Werkzeuge funktionieren -- mit dem ausdrücklichen Anspruch, breiten Bevölkerungsschichten bürgerliche Verhaltensweisen zu vermitteln. Unter dieser Perspektive ist auch der Vergnügungspark Beförderer und zugleich Abbild dieser Veränderungen. |
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Wie aber zeigen sich die heutigen Themenparks unter diesem Gesichtspunkt betrachtet? Erklimmen wir dazu den zweiten Aufzug zurück in die Gegenwart. |
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3: | ||||
Unsere heutige Gesellschaft ist von Selbstdisziplin geprägt. Die Verhaltensnormen, die in den öffentlichen Räumen des 19. Jahrhunderts eingeübt wurden, sind verinnerlicht, hegemonial geworden. Wie bereits angedeutet, sind Themenparks als klar abgegrenzte, perfekt organisierte Räume geradezu Modelle dieses Machtdispositivs. |
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Im Alltag werden die allgemein akzeptierten Verhaltensnormen und Kontrollmechanismen nicht als störend, sondern selbstverständlich empfunden -- im Themenpark jedoch werden sie genossen und gefeiert. Oft werden Themenparks als zeitgenössische Kultstätten, Wallfahrtsorte bezeichnet. Meist bezieht sich diese Zuschreibung lediglich auf ihre hohen Besucherzahlen und ihre Verankerung in der populären Kultur. Sie trifft aber auch in anderem Sinne den Kern der Sache: Im Themenpark huldigen die Besucher der Perfektion des Apparates. Die Funktionsweisen des Machtdispositiv werden hier zur Attraktion. Selbst was im Alltag lästig erscheint, wird hier zum Spaß. Der Gast bewundert die Effizienz der Organisation, genießt die kontrollierte Sicherheit und garantiert gleichbleibende Qualität. Themenparks machen die Alltagserfahrungen zum Spektakel. |
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Dies gelingt, weil der Apparat hier die Maske des Wunderbaren trägt. Die aufwendige, originelle Gestaltung der Anlagen verkleidet nicht nur die banale Technik mit fantastischen oder historisierenden Dekorationen. Sie überzieht auch das vorausberechnete und gelenkte Verhalten der Gäste mit der Aura von Abenteuer und Spiel. In dieser Kulisse reiht sich der Besucher gerne ein, läßt sich überwachen, fotografiert an den ausgeschilderten Orten ("Photo Spots"), schiebt begeistert sein Ticket in die Stechuhren des Disneyschen Fastpass-Systems (eine Art automatisierter Platzreservierung), raucht im Raucherbereich und benimmt sich insgesamt ordentlich. Kein Wunder, daß die Prinzipien der Themenparks in die Gestaltung zahlreicher öffentlicher und halböffentlicher Räume diffundieren, wie Shopping Malls, Ferienresorts, touristische Sehenswürdigkeiten und Fußgängerzonen. |
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Umberto Eco, zugleich bekennender Genießer und kritischer Analytiker Disneylands, bemerkte bereits in den 70er Jahren über dessen Eingangsbereich: "Die Fassaden der 'Main Street' präsentieren sich als Kulissen und locken uns spielerisch einzutreten, doch innen sind sie dann stets ein verkleideter Supermarkt, in dem wir einkaufen wie die Besessenen in der Meinung, es sei noch immer ein Spiel." Denn auch der Konsum wird hier zum Abenteuer, zum Erlebnis -- und es ist kein Zufall, daß letzterer Begriff heutzutage zum Standardvokabular der Marketingstrategen gehört. Indem er Erlebnisse als Waren konsumierbar macht, ist der Themenpark das Destillat der Konsumgesellschaft, die ihre Waren und deren Kauf zum Erlebnis stilisiert. |
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Insbesondere die Rides sind Beispiele extremer Regulierung des Besucherverhaltens. Wie Teile auf einem Förderband reihen sich die Fahrgäste in die Gondeln, Boote oder Züge ein und zirkulieren durch die Maschine. Dank der ideenreichen dramaturgischen Gestaltung erlebt der Besucher dennoch etwas Besonderes, Unerwartetes. Ein gelungener Ride evoziert wie ein Spielfilm Erwartungshaltungen, um sie dann wieder zu brechen, spielt mit dem Aufbau von gespannter Vorahnung und unvorhersehbarer Überraschung. Das verbreitetste Element in diesen Inszenierungen ist der Unfall. Im Disneyland Paris beispielsweise findet sich kaum ein Ride, der nicht ein Moment der Katastrophe enthält: fehlgeleitete Raumschiffe, explodierende Gebirgstunnel, von Piraten in Brand gesteckte Städte und andere Unglücke kitzeln den Zuschauer. Besonders wenn das Thema der Attraktion fantastische Technologien sind (Zeitreisen, Raumflüge, Tauchfahrten usw.), werden deren Verheißungen im Laufe des Geschehens lustvoll demontiert, wie etwa im eingangs geschilderten 3D-Spektakel. |
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Der Absturz ist im Themenpark wie in einer gelungenen Achterbahn ein Genuß ohne Reue. Denn gerade die Inszenierung des Versagens an der Oberfläche beweist die Perfektion des unterliegenden Systems. In der Inszenierung gelingt die scheinbar widersprüchliche Verbindung von Abenteuer und der Versicherung von ans Totale grenzender Sicherheit. Damit kann die Erfahrung des Ride zu einer rundum positiven werden, einem zugleich aufregenden wie beruhigendem Erlebnis. |
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Der strategische Raum hat sein Versagen selbst in sich aufgenommen. Damit hat das moderne Machtdispositiv auf der Ebene der Erfahrung wieder zurückgewonnen, was ihm im Alltag verloren gegangen ist: Ort für Abenteuer und Wunderbares zu sein. |
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Bitte öffnen sie den Bügel erst, wenn die Gondel vollständig stehen geblieben ist. Steigen sie bitte aus. Weiterhin viel Spaß im Themenpark ihrer Wahl. |
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