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Images against war

von Peter V. Brinkemper

Köln, 03. Apr 2003_  Der Krieg im Irak bleibt auch nach der ersten Phase des Einmarsches durch die USA und Großbritannien ein hochkontroverses Thema.

Der im UN-Sicherheitsrat als Völkerrechtsverletzung heftig kritisierte und von weltweiten öffentlichen Protesten begleitete Angriffskrieg ohne Mandat zeitigt nun blutige Konsequenzen für die irakische Zivilbevölkerung und die Soldaten auf beiden Seiten. In den Medien findet ein Bilderkrieg statt, den beide Parteien für sich ausbeuten wollen.

Im Gegensatz zur Medienberichterstattung im Golfkrieg 1991 mit Dauerbeschirmung und den langen Blackouts durch die strategische Zensur wird diesmal eine pausenlose, aber keineswegs vollständige Berichterstattung in den konkurrierenden Medien präsentiert. Viele Journalisten sind in die Truppen eingegliedert, um die News vom "Marsch auf Bagdad" im Sinne der Militärs lenken zu können. Und doch schert die zivile Berichterstattung immer wieder aus der militärischen Perspektive aus. Die Direkt-Bebilderung der Truppe disqualifiziert sich schnell im Fahrwasser einer unterhaltsamen Propaganda. Im sogenannten Militainment schieben sich arrangierte Situationen und Posen in den Vordergrund. Opfer und Verluste werden von beiden Seiten ideologisch mißbraucht. Das wirkliche Geschehen muß entziffert werden, durch Abgleich widersprüchlicher Quellen. Angriffe aus der Luft sind keine exakten chirurgischen Eingriffe, immer wieder gibt es zivile Tote. Der Einmarsch ist keine touristische Spazierfahrt, sondern ein riskantes Unternehmen, Rückweg und Nachschub bleiben zunächst ungesichert. Durch "friendly fire" erleiden die US- und britischen Truppen auch diesmal erhebliche Verluste, die Technologie frißt ihre eigenen Kinder. CNN, BBC und Al-Jazeera haben verschiedene Perspektiven, FoxNews wieder ein ganz andere. Der Krieg im Irak entwickelt sich zum tödlichen Risiko für beide Seiten, kein Pathos patriotischer Heldentaten kann darüber hinwegtäuschen.

Im Internet haben sich verschiedenste Protestformen gegen den Kriegskurs der USA und ihrer Verbündeten artikuliert:

Vor dem Krieg forderten verschiedene Internetbewegungen zur direkten telefonischen "Belagerung" der offiziellen Repräsentanten, der Regierungsmitglieder, Senatoren und Abgeordneten auf. Die Form der Internet-Petitionen hat sich entscheidend verbessert: Die endlosen Kettenbriefe, die im Netz hin- und herirrten und in zahllosen Varianten wirkungslos wurden, werden nun durch stabile Links ersetzt, die in den täglichen Newslettern angegeben werden: Insofern erhält die Einladung zum Widerstand einen festen Ort im Netz, von dem aus überzeugend und öffentlichkeitswirksam operiert werden kann. Die tagtägliche Verarbeitung von offiziellen News und ihre Ergänzung durch persönliche Zusammenfassungen und Reportagen vor Ort hat eine neue Qualität erreicht: In sogenannten "Weblogs" oder "blogs" werden tagebuchförmige Eintragungen und Links präsentiert, die pausenlos aktualisiert werden. Offizielle Meldungen werden durch persönliches Material, durch Reportagen vor Ort ergänzt, korrigiert, widerlegt oder dementiert. In den Weblogs treffen

Journalisten, Zivilisten und auch Soldaten zusammen, um individuelle Erfahrungen und unzugängliches Hintergrundwissen auszutauschen. In command-post.org ist ein Portal entstanden, in dem zahlreiche "Blogger" verlinkt sind. Antiwar.com ist eines der Portale der internationalen Antikriegs-Organisationen, die News aus unterschiedlichsten Quellen zusammenzustellen und ihre Veranstaltungen ankündigen und koordinieren. Die Friedensbewegung Iraqipeaceteam.com berichtet auf diese Weise direkt aus dem Irak. Die Berichte der Blogger werden im Netz archiviert und auch von den offiziellen Medien als authentische Quelle benutzt, um verfälschende Berichterstattung, mediale Glättung und Propaganda ständig zu korrigieren. BBC-online erwähnt, daß diese Art der Berichterstattung zum ersten Mal im Afghanistan-Krieg auftauchte.

Die Spirale von Gewalt und Brutalität, Verletzung und Tod, Demütigung und Verzweiflung ist unbezähmbar. Der Weg in den Krieg ist und bleibt menschlich und politisch unakzeptabel. Keine patriotische Ideologie, kein Sicherheitsdenken und keine technologische Übermacht können das Desaster und das unmenschliche Leiden beherrschen oder Wut und Entrüstung eindämmen. Krieg ist kein Schauspiel in einer begrenzbaren Arena. Demokratie kann und darf man nicht herbeibomben. Wir alle sind dafür mitverantwortlich, gegen diesen furchtbaren Mißbrauch von Demokratie, Wohlstand und Frieden etwas zu tun.

Netzdemo der Bilder gegen Krieg und Zensur

Die Kölner Galerie Lichtblick hat daher einen besonderen Aufmerksamkeits-Fokus für den Protest gegen den Krieg gewählt: "Images against war, Bilder gegen Krieg".

Unter diesem Titel hatte Tina Schelhorn zur Ausstellung in der Galerie Fotografen eingeladen - unter dem Druck des anstehenden Krieges direkt per E-Mail. Die elektronische Kommunikation hatte Folgen: Sofort entwickelte sich das Projekt zur Demonstration im Netz, zum Aufstand zahlloser Bilder, die seit 20. Februar 2003 unter der Adresse www.imagesagainstwar.com im Internet stehen.

Die beteiligten Fotografen erkannten die Chance einer visuellen Plattform gegen Krieg, Propaganda und Zensur: Ein schnell erreichbarer, flexibler nutzbarer und vor allem unzensierter Ort mit gebündelter Aussagekraft. Für Fotografien, die frei nebeneinander ins Netz gestellt werden und bei denen sich künstlerische Qualität, politischer Widerstand, journalistische Aktualität und mediale Reflexion gegenseitig verstärken.

Zu dieser Aktion stoßen tagtäglich neue Bilder aus aller Welt: Es melden sich Fotografen aus Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Haiti, Holland, Irland, Israel, Italien, Japan, Jugoslawien, Kanada, Kuba, Lettland, Marokko, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Spanien, USA ...

Bilderstreit statt Political Correctness und Militainment

Die zivile Kampagne "Bilder Gegen Krieg" bietet eine Vielfalt persönlich getönter Perspektiven und Ansichten -- ohne Political Correctness, modernes Militainment und einseitige politische Propaganda. Die Freiheit des Blicks steht im Vordergrund. Das einzelne Bild mag anfechtbar sein, die offene Auseinandersetzung wird in der grenzüberschreitenden, internationalen Konfrontation, in der Bewegung von Bild zu Bild, von Ansicht zu Ansicht ausgetragen ohne Worte. Das gemeinsame Credo: Nur ein offener, undogmatischer Streit der Bilder ermöglicht den Kampf gegen den engen Zusammenhang von Ideologie und Gewalt, Zensur und Krieg, Klischee und Realität, Lüge und vermeintlicher Wahrheit. Der entscheidende ästhetische und politische Reibungspunkt aller "Bilder gegen Krieg" ist die Visualisierung des "GEGEN".

Die Internet-Kuratorin Tina Schelhorn nennt folgende thematische Perspektiven:

"Die Bilder...
  • überschreiten stilistische Grenzen zwischen Alltags- und Kriegsdarstellung,
  • brechen ideologische Perspektiven auf,
  • wenden sich gegen die Zensur globaler Kriegsberichterstattung,
  • protestieren gegen die Grausamkeit von Krieg und Gewalt,
  • zeigen offen und unzensiert seelische und körperliche Wunden,
  • spiegeln die kommerzielle Schnelllebigkeit des Medienzeitalters wider,
  • prangern die mediale Gier nach ständigen Katastrophen an,
  • ironisieren Action- und Kriegsfilm-Muster und Helden-Posen,
  • erinnern an zivile Möglichkeiten der Koexistenz,
  • appellieren an Chancen des friedlichen und toleranten Zusammenlebens."

Während das Fernsehen die Bildgeschwindigkeit immer weiter erhöht, fordern die Internet-Fotos Augenblicke der Muße, Reflektion und Kritik ein. Sie provozieren persönliche Kommentare der Betrachter. Bisher sind 333 visuelle Statements eingegangen, von zum Teil weltweit renommierten Fotografen, die täglich auch in anderen medialen Kontexten auftreten. Diese machen auch auf weitere Krisenherde in der Welt aufmerksam, die von den Medien derzeit nicht beachtet werden. _//
 

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