Palma de Mallorca, 27. Jul 2006_
Paris Hilton lebt davon, daß sie durch reine Anwesenheit
Aufmerksamkeit erzeugt. Sie ist eine Art Fastfood, an jedem Ort der
Welt zu haben. Darauf hat die Ikone unter den Selbstvermarktern lange
hingearbeitet. Nun füllen die selbstgemachten Aufgeregtheiten ihres
Lebens alle Medien. Sie muß nur weiterhin Aufgeregtheiten erzeugen,
dann wird sie noch für eine Weile unübersehbar bleiben.
Jetzt gerade war die blonde Hotelerbin in Palma, um einerseits
ihren kleinen Song zu singen und andererseits für ein Produkt zu
werben, das es zukünftig an jedem Ort zu kaufen geben wird und auf das
die Welt natürlich sehnsüchtig gewartet hat: Prosecco in Dosen.
Ist sie wirklich unübersehbar? Da Paris nur im Licht der
Öffentlichkeit zu existieren scheint, könnte der Auftritt in Palma
unheilvoll ihre schwindende Omnipräsenz angekündigt haben: Es waren
nur zwei Kameras anwesend, ein paar Fotografen, und, noch schlimmer,
nicht besonders viel Publikum. Vielleicht, wenn man gnädig ist, 1000
Leute. Die Veranstalter hatten mit dem zehnfachen gerechnet.
Playa de Palma bei Sonnenuntergang. Das Gesa-Gebäude, einziges
Hochhaus am Rande der Altstadt, überragt noch die Kathedrale, in
seinen braunen Spiegelglasscheiben bricht sich das Orange der
untergehenden Sonne. Zwischen Hochhaus und Strand rauscht sechsspurig
der Samstagabendverkehr. Eine Promenade, an der, ebenso unbeeindruckt
und wie jeden Tag im Sommer, alte Mallorquiner sitzen, manche plaudern
miteinander, manche suchen ihre Plüschhunde nach Zecken ab, manche
lösen Kreuzworträtsel, alle rauchen und sitzen mit dem Rücken zum
Meer, zur Tribüne, zum Auftrittsort Paris Hiltons.
An den alten Männern vorbei ziehen hauptsächlich herausgeputzte
minderjährige Mädchen mit ihren nicht weniger herausgeputzten Müttern.
Der amerikanische Moderator läßt uns mit seiner sahneweichen Stimme
wissen, daß wir alle auf den Sonnenuntergang warten müssen, dann
beginne die Party. "You guys can be so
lucky! Living on this beautiful island. With this beautiful
sundown. Look at this sundown! Oh, here comes Kathy, who is Kathy?
It's Kathy Hilton, Paris' mother. Clap your hands for
Kathy!" Niemand klatscht. Kathy wird nach ihrer
Meinung zum Sonnenuntergang auf Mallorca gefragt. Sie haucht
professionell, also nicht offensichtlich beleidigt, ins Mikro:
"Oh, lovely."
Hinter der Tribüne,
zwischen den Palmen der Promenade, hängen Plakate mit dem
Produktnamen. RICH® PROSECCO. Man hat sich das RICH
als Marke schützen lassen. Die Stimme des Moderator erstirbt
fast, als er die Schönheit des Strandes, der ganzen Insel
preist. Man ist geneigt, sich bei ihm bedanken zu wollen, daß
er uns das alles verkauft hat: Strand®, Meer®
(mit nahe dümpelnden Yachten), Himmel®,
Tramuntana®, und davor die Silhouette der Hafenstadt
Palma®. So wie Paris eine Marke ist, wie Reichsein
durch sie zu einer Marke wird, vollkommen sich selbst genügend.
Aber wir armen Hühnchen hier am Strand können glücklich
sein, denn es ist uns möglich, all das zu kaufen. Wir können
Paris kaufen, ihre richness, ihren Augenaufschlag, ihre
Aufgeregtheiten. Wir können ein bißchen so sein wie sie,
wie ihr nimmermüder Hochglanzzirkus. Thanks, Paris!
Die kleinen Mädchen tanzen. Einige sind so stark geschminkt wie
ihre Mütter. Ein rundlicher, grauhaariger Vater fotografiert Frau und
Kind beim Hüftschwung, versucht dann ein bißchen mitzutanzen. Neben
mir stehen drei Russen, vom sportlich-mächtigen Typ, der hier in Palma
gerne als Türsteher angeheuert wird. Sie haben ein Pressefoto von
Paris ergattert, mit Unterschrift, und jeder der großen Männer will
einmal das Foto in der Hand halten.
Der Moderator fragt: "Who wants a picture of
Paris?" Ein paar Mädchenarme strecken sich in
die Luft. "Who wants a kiss from
Paris?" Ein paar mehr Arme.
Zwischen den Yachten, die in Strandnähe vor Anker liegen, motort
ein kleines mallorquinisches Fischerboot herum. Statt eines Segels hat
der Fischer ein Bettlaken gehißt. Darauf steht: Martha, te
quiero! Schon wieder ist nicht die arme Paris gemeint. Sie dreht
sich derweil auf der Bühne, umrandet von der Percussion-Gruppe aus
Palmas Promi-Disco Titos. Sie trägt eine sehr große Sonnenbrille und
ein türkis-gelbes Kleid; das Türkis eines Swimmingpools, das Gelb
einer von Kindern gemalten Sonne. Auf der Promenade muß der Prosecco
in Dosen verschenkt werden, zusammen mit Pappbechern der Firma
Coca-Cola. An mir vorbei geht ein junger Mann, auf dessen T-Shirt
steht: It's great to be hot. Auf dem T-Shirt seines Freundes
steht, ungelogen: VAKUUM.
Paris Hilton singt ihr kleines Sommerlied, mit dem sie in dieser
Saison die überlebensnotwendige Menge an Aufmerksamkeit bekommt. Sie
bewegt sich perfekt. Mädchenhaft, mit gespielter Unschuld, nur die
Art, wie sie das Mikro an ihre Lippen legt, läßt andere Assoziationen
aufkommen. Sie singt von der Blindheit der Stars, also ganz
selbstironisch, von der eigenen Fehlbarkeit. Ach, Paris, auch das
kaufe ich dir ab: du willst eigentlich gar nicht reich sein. Nur ab
und zu ein bißchen Prosecco trinken. Darauf hofft zumindest der
österreichische Erfinder der Sekt-Dosen, der eng mit einem angesagten
Club-Macher Mallorcas befreundet ist. Palma als Kulisse, das muß die
Idee gewesen sein, ist ein bißchen L.A. in Europa. Aber die
Mallorquiner scheinen sich von künstlichen Aufgeregtheiten nicht
anstecken zu lassen. Aus einem A-Promi wird hier schon mal ein
B-Promi. Mallorca ist eben doch eine verschlafene Provinz, hier werden
keine Trends generiert. Nach Paris' perfekter Mini-Show betritt ein
Pop-Dinosaurier die Bühne. Boy George. "Ach, der lebt
noch?", sagt neben mir eine Frau auf Deutsch. Boy George
erinnert an die letzte Schildkröte seiner Art auf Galapagos:
Lonesome George. Als drohte dies sein letzter Auftritt zu
sein, hat er sich noch einmal alle Kleider und Ketten über- und
umgehängt, die er zu besitzen scheint. Eine klimpernde Schildkröte,
und Paris steht bei ihm, überragt ihn um einen halben Kopf, dreht sich
einige Male im Kreis. Die Seide ihres Kleides schwingt. Boy George
wirkt noch älter. Ich muß fast weinen, so traurig sieht er aus. Neben
mir reichen die Russen das Foto von Paris einander weiter, und jeder
riecht einmal dran. Einer schnuppert ganz konzentriert an ihren
Beinen, einer an ihrem Gesicht. Dann reden sie wieder ein
bißchen. Weiter unten, direkt am Wasser, prügeln sich zwei spanische
Machos. Einer fällt um, einer schlägt sich ständig selbst auf die
Brust, ein Kumpel filmt mit seiner Videokamera die Szene. Der Fischer
fährt immer noch zickzack durch die geparkten Yachten und erklärt
Martha seine Liebe. Die Sonne ist längst untergegangen.
Paris verläßt die Bühne. Der Moderator fleht das Publikum an:
"Don't leave. Paris will be back to sign some more
pictures." Sie verläßt die Oberfläche, die sie
erzeugt. Als müßte sie flüchten. Direkt neben dem Hinterausgang der
Tribüne stehen fünf Dixieklos. Noch einmal versucht uns der Amerikaner
die Veranstaltung schmackhaft zu machen: "Now, here come
the Titos dancers. Just look at those kittens. Aren't they
hot?" Die Zuschauermenge löst sich von den Rändern
her auf. Die alten Männer auf der Promenade drehen dem Geschehen noch
immer ihre Rücken zu, lösen Rätsel oder Zecken aus dem Fell ihrer
Hunde.
Sie ist wie Prosecco in einer Dose. Etwas zu süß, gaumenklebrig,
ritschratsch zu öffnen und in einer Verpackung, die man wegwirft. Ein
Produkt für einen Abend. Am Morgen hat man Kopfschmerzen. Eine Dose
riecht nach nichts. Vielleicht wird dieser RICH® PROSECCO
ihr Schicksal sein. Man ist fast geneigt zu sagen: zu ihrem Glück
wurde das Dosenpfand eingeführt. Dann werden die alten Männer von
Palma wenigstens Dosen sammeln können, um sie gegen Bares
einzutauschen. Dabei wird keiner reich. Aber RICH® wollen
wir ja auch gar nicht werden.
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autoreninfo

Larissa Boehning , Jahrgang 71, studierte Kulturwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin, und ist vor einem Jahr von dort nach Palma umgezogen. Sie gewann verschiedene kleine Literaturwettbewerbe und wurde 2003 Stipendiatin der Autorenwerkstatt Prosa am Literarischen Colloquium Berlin. 2002 erhielt sie den Literaturpreis Prenzlauer Berg. 2003 erschien ihr Erzählband Schwalbensommer bei Eichborn. Letztes Jahr wurde ihr für ihre literarische Arbeit das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin verliehen. 2006 erscheint voraussichtlich ihr erster Roman. Seit dem Wintersemester 2003 unterrichtet sie im Rahmen eines Lehrauftrages an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Fachbereich Kulturwissenschaft und Germanistik kreatives und literarisches Schreiben.Homepage: http://www.larissaboehning.deE-Mail: larissa.boehning@gmx.de