Werbung

Werbung

Werbung

Sachbücher über Wohlstandsangst und Sinnsuche

Leben nach der Kündigung / Lügen über den Kapitalismus / Online-Identitäten / Fleisch-Esser in der Kritik

© Die Berliner Literaturkritik, 11.08.10

Von Susanna Gilbert-Sättele

BERLIN (BLK) - Ums liebe Geld dreht sich (fast) alles in den neuen Sachbüchern dieses Herbstes. Kritik am kapitalistischen System generell, an der Heuchelei von Managern und Politikern im Besonderen oder an den harten Arbeits- und Lebensbedingungen einer wachsenden Zahl Deutscher haben zahlreiche Autoren zu Papier gebracht. Daneben finden sich im Angebot der Sachbuchverlage auch viele neue Werke zur globalen Ausbeutung der Natur und individuellen Sinnsuche. Und natürlich warten wieder zahlreiche Biografien auf ihre Leser.

Ex-Daimler-Chef Edzard Reuter geht in seiner Polemik „Stunde der Heuchler“ der Frage nach, „Wie Manager und Politiker uns zum Narren halten“: Sie begingen Steuerflucht, manipulierten Arbeitslosenzahlen und kassierten für Rekordverluste auch noch Bonuszahlungen, moniert Reuter in seinem Plädoyer für mehr Anstand und Augenmaß. Düstere Prognosen stellt auch Robert Kurz in seinem Buch „Weltmacht und Weltkrise“ auf: Da sich die kapitalistische Dynamik erschöpft habe, stehe eine große Weltdepression vor der Tür, meint der Wirtschaftspublizist.

Der in Cambridge lehrende Ökonom Ha-Joon Chang räumt in seiner provokanten Streitschrift mit „23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen“ auf. Scharfsichtig analysiert der geborene Koreaner die Möglichkeiten und Grenzen der Marktwirtschaft, wobei er dem aktuellen Neoliberalismus eine entschiedene Absage erteilt. Eine „Götzendämmerung“ sieht die Bestsellerautorin Gertrud Höhler heraufziehen. Ihre Kritik richtet sich gegen eine Gesellschaft, in der bei der Jagd nach dem schnellen Geld jede Ethik vergessen wird. Auch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück ergreift das Wort und sieht „Unterm Strich“ den Sozialstaat ernsthaft gefährdet, wenn sich die Politik nicht neu erfindet.

Aus der Sicht der Leidtragenden berichtet Julia Berger in ihrem berührenden Erfahrungsbericht davon, wie es ist, wenn man „Gefeuert“ wird. Ein einziger freundlicher Anruf habe sie auf einen „unbekannten Planeten“ katapultiert, auf dem Wörter wie „Abwicklungsvereinbarung“ oder „Zumutbarkeit“ das Leben beherrschen. Mitleid will Frank Hertel nicht, wenn er von seiner „Knochenarbeit“ erzählt. Vielmehr fordert der Billiglöhner in seinem unsentimentalen, mitunter komischen „Frontbericht aus der Wohlstandsgesellschaft“ Respekt für jene vielen Menschen, die einfache, aber notwendige Arbeit verrichten.

Mit den Folgen der globalen Vernetzung setzen sich eine Reihe neuer Bücher auseinander. 20 Jahre nach Entstehen des World Wide Web sind die Deutschen nach Untersuchungen immerhin zweieinhalb Stunden pro Tag online. Der IT-Experte Nicholas Carr etwa hat sich in dem Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin“ mit den neurologischen Folgen regelmäßigen Surfens beschäftigt. Sein Fazit: Wir lesen oberflächlicher, lernen schlechter und erinnern uns schwächer als Generationen, die ohne die Segnungen des Internets leben mussten.

Alex Rühle, Journalist und Internet-Junkie, hat sich ein halbes Jahr „Ohne Netz“ verordnet und die Erfahrungen seiner digitalen Fastenkur in einem klugen und witzigen Buch zusammengefasst. Während seiner Abstinenz verbrachte er viel Zeit auf der Suche nach Telefonzellen, Briefkästen und einem funktionierenden Faxgerät. Am Ende warteten 5644 E-Mails in seinem digitalen Postfach.

Vor dem Hintergrund der Ölpest im Golf von Mexiko kommt dem Buch Sarah Zieruls „Der Kampf um die Tiefsee“ besondere Brisanz zu. Die Autorin beleuchtet den „Wettlauf um die Rohstoffe der Welt“ und warnt vor Umweltzerstörung und politischen Konflikten, wenn die in den Abgründen der Ozeane schlummernden Rohstoffe hemmungslos ausgebeutet werden. Der amerikanische Romancier Jonathan Safran Foer hat sich in seinem neuen Buch „Tiere Essen“ intensiv mit dem Fleischkonsum und dessen Folgen befasst und sich dem Thema auf verschiedenen Wegen - philosophischen und wissenschaftlichen wie auch auf der Basis eigener Undercover-Recherchen - genähert. „Ich liebe Würste auch“, gibt der 33-Jährige zu, „aber ich esse sie nicht.“

Große Gefühle stellt Wilhelm Schmid in den Mittelpunkt seines Buches „Die Liebe neu erfinden“. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Liebe erstickt, wenn gleichzeitig unendliche Glücksgefühle und unbändige Leidenschaft bei einem Maximum an Freiheit gefordert werden, rät der Autor zu mehr Leichtigkeit und einer eher pragmatischen Romantik.

Von Liebe getragen sind auch die Bemühungen von Frauen in aller Welt für eine bessere Zukunft. Die beiden Pulitzer-Preisträger Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn führen in ihrem Buch „Die Hälfte des Himmels“ zahlreiche Beispiele von Frauen an, die trotz heftigster Unterdrückung nie aufgegeben haben. Nach der Lektüre des Buches, könne man „einfach nicht mehr tatenlos herumstehen“, sagt George Clooney.

Das Herz ist für den Erfolgsautor und Arzt Dietrich Grönemeyer keineswegs nur ein zuckernder Muskel. „Das Herz fühlt“, meint er, und wenn es wehtue, brauche es „immer und zuerst menschliche Zuwendung“. Seine „andere Organgeschichte“ mit dem Titel „Dein Herz“ sieht es als Organ und Symbol, beleuchtet Ursachen und Symptome von Erkrankungen und gibt Tipps für die Vorsorge.

In der Vielzahl neuer Biografien fällt Howard Sounes' Porträt von Paul McCartney auf, und dies nicht nur, weil die Beatles vor 50 Jahren zum ersten Mal ins Scheinwerferlicht getreten sind. Sounes schildert in seinem reich bebilderten Buch „Paul McCartney“ den Lebensweg der Poplegende von der Kindheit im tristen Liverpool bis zur jüngsten Konzerttournee im Winter 2009.

Einer anderen Ikone, der weltweit berühmtesten Krimiautorin, widmet Laura Thompson eine umfangreiche Biografie. „Agatha Christie“ (1890-1976), die Schöpferin von Hercule Poirot und Miss Marple, hinterließ Tagebücher, Briefe und Notizhefte, die Thompson auf ihrer Suche nach jenem Menschen halfen, der Mord zum Kunstwerk erhob.

Persönliche Einblicke in sein Leben gewährt der Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela in seinem Buch „Bekenntnisse“. Briefe an seine Frau während der Gefangenschaft auf Robben Island finden sich dort ebenso wie die Korrespondenz mit engen Freunden und die Tagebuchaufzeichnungen, die ihn den Tod seines Sohnes Thembi bewältigen halfen. Auch Notizen aus der Zeit seiner Präsidentschaft in Südafrika werden in dem Buch veröffentlicht.

Schlicht zur Erbauung eignet sich Johann-Günther Königs „Geschichte des Automobils“, in dem er dessen Bedeutung für Lebensstil und Wirtschaft aufspürt, Technik und Design beschreibt und die Auswirkungen auf die Umwelt nicht außer Acht lässt. Da das Automobil mit Verbrennungsmotor inzwischen von vielen als Auslaufmodell angesehen wird, kommt der unterhaltsamen Abhandlung besondere Bedeutung zu. Für historisch Interessierte ist der „Tatort Elau“ geeignet. Ein Autorenteam um den Historiker Harald Mueller erzählt die Geschichte eines 4600 Jahre zurückliegenden Verbrechens. Im heutigen Sachsen-Anhalt fielen ihm 13 Menschen zum Opfer, darunter auch eine Familie.

Weblinks:

Zu 1: www.dtv.de

Zu 2: www.cbertelsmann.de

Zu 3: www.randomhouse.de

Zu 4: www.kiwi-verlag.de

Zu 5: www.beck.de

Zu 6: www.hanser.de

Zu 7: www.randomhouse.de

Zu 8: www.reclam.de

Zu 9: www.beck.de

Zu 10: www.eichborn.de

Zu 11: www.piper-verlag.de

Zu 12: www.theiss.de

Zu 13: www.ullsteinbuchverlage.de

Zu 14: www.klett-cotta.de

Zu 15: www.suhrkamp.de

Zu 16: www.droemer-knaur.de

Zu 17: www.hoffmann-und-campe.de

Zu 18: www.fischerverlage.de

Zu 19: www.hoffmann-und-campe.de

Literaturangaben:

- Julia Berger: Gefeuert. Mein Leben nach der Kündigung, dtv, München, 220 Seiten, 12,90 Euro, ISBN 978-3-4232-4832-7

- Ha-Joon Chang: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen, Bertelsmann Verlag, München, 288 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-5701-0060-8

- Nicholas Carr: Wer bin ich, wenn ich online bin - und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert, Blessing Verlag, München, 384 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-8966-7428-9

- Jonathan Safran Foer: Tiere Essen, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 352 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-4620-4044-9

- Dietrich Grönemeyer: Dein Herz. Eine andere Organgeschichte, Beck Verlag, München, 256 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-1002-7305-5

- Frank Hertel: Knochenarbeit. Ein Frontbericht aus der Wohlstandsgesellschaft, Hanser Verlag, München, 205 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-4462-3579-3

- Gertrud Höhler: Götzendämmerung. Die Geldreligion frisst ihre Kinder, Heyne Verlag, München, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-4531-7796-3

- Johann-Günther König: Die Geschichte des Automobils, Reclam Verlag, Ditzingen, 200 Seiten, 9,95 Euro, ISBN 978-3-1502-0214-2

- Nicholas D. Kristof/Sheryl WuDunn: Die Hälfte des Himmels. Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen, Beck Verlag, München, 320 Seiten m. Abb., 19,95 Euro, ISBN 978-3-4066-0638-0

- Robert Kurz: Weltmacht und Weltkrise. Die Grenzen des Kapitalismus, Eichborn Verlag, Frankfurt, 304 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-8218-6527-0

- Nelson Mandela: Bekenntnisse, Piper Verlag, München, 336 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-4920-5416-4

- Harald Mueller u. a.: Tatort Eulau. Ein 4600 Jahre altes Verbrechen wird aufgeklärt, Theiss Verlag, Stuttgart, 160 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-8062-2401-6

- Edzard Reuter: Stunde der Heuchler. Wie Manager und Politiker uns zum Narren halten, Econ Verlag, Berlin, 180 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-4302-0090-5

- Alex Rühle: Ohne Netz. Mein halbes Jahr offline, Verlag Klett- Cotta, Stuttgart, 220 Seiten, 17,95 Euro, ISBN 978-3-6089-4617-8

- Wilhelm Schmid: Die Liebe neu erfinden, Suhrkamp Verlag, Berlin, 399 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-5184-2203-8

- Howard Sounes: Paul McCartney. Das Porträt, Droemer Verlag, München, 640 Seiten m. Abb., 24,95 Euro, ISBN 978-3-4262-7509-2

- Peer Steinbrück: Unterm Strich, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg, 320 Seiten ISBN 978-3-4555-0166-7

- Laura Thompson: Agatha Christie. Das faszinierende Leben der großen Kriminalschriftstellerin, Scherz Verlag, Frankfurt, 544 Seiten m. Abb., 24,95 Euro, ISBN 978-3-5021-5156-2

- Sarah Zieruls: Der Kampf um die Tiefsee. Wettlauf um die Rohstoffe der Erde, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg, 352 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-4555-0169-8


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: