MÜNCHEN (BLK) –.Im Juni 2011 ist im Luchterhand Verlag „Schweine züchten in Nazareth“ von Amanda Sthers erschienen. Übersetzt wurde von Karin Ehrhardt.
Klappentext: Sie hassen und sie streiten sich. Doch der Liebe zueinander entkommen sie nicht. Was für eine schreckliche Pariser Familie: Harrys Tochter Annabelle verliebt sich ständig in viel zu alte Männer, die sich in letzter Sekunde dann doch nicht entschließen können, sich von ihrer Frau zu trennen. Harrys Frau Monique wird nicht müde, ihr das immer wieder vorzuwerfen. David, der schwule Sohn, ist ein gefeierter Theaterautor. Aber er ist tiefunglücklich, weil Harry seit dem Outing nicht mehr mit ihm spricht. Schlimmer: Harry, einst erfolgreicher Kardiologe, hat die Nase voll von dem ganzen Trubel und steigt aus. In Nazareth findet er eine neue, nur auf den ersten Blick bizarre Leidenschaft: das Schweinezüchten… Verständlich, dass sich Harry mit diesem Vorhaben nicht nur Freunde macht. Der ansässige Rabbi ist erbost, und so entspinnt sich ein kurioser Briefwechsel der beiden über die ersten und letzten Fragen des Lebens. Dazwischen aber tobt in Briefen und E-mails der familiäre Wahnsinn. Nach schmerzhaft vielen unbeantworteten Briefen macht David aus der Geschichte des Schweinezüchters, der einmal sein Vater war, ein Stück. Er weiß nicht, dass Harry mit den Zeitungsberichten von Davids Erfolgen eine ganze Wand tapeziert hat. In ihrer Gekränktheit sind die Familienmitglieder unverbesserlich. Während Harry und der Rabbi am Ende zu den besten Freunden werden, lassen sie jegliche Chance zur Versöhnung an sich vorbeiziehen. Sie beschimpfen sich wüst und verletzen sich grob. Und doch ist ihnen klar, dass sie ihrer Liebe zueinander nicht entkommen…
Amanda Sthers, die eigentlich Amanda Queffélec-Maruani heißt, wurde 1978 in Paris geboren und arbeitet als Journalistin und schreibt für Theater, Film und Fernsehen. In ihre Romanen baut sie meist Teile ihres Lebens ein, so auch in „Schweine züchten in Nazareth“. Hierin verarbeitet sie teils die Scheidung ihrer Eltern. Besonders auffällig wird dies an der Ex-Frau des Protagonisten. Auch Sthers Mutter konvertierte, beispielsweise, der Liebe wegen zum Judentum.
Leseprobe:
©Luchterhand Verlag©
„Frieden ist nicht so sehr ein Ausgleich von politischen Interessen als vielmehr einer von Hintergedanken.“
Unbekannter Kriegs-Stratege
Harry Rosenmerck an Rabbi Moshe Cattan
Nazareth, 1. April 2009
Sehr geehrter Rabbi,
seit ich beschlossen habe, nach Israel zu ziehen, um Schweine zu züchten, habe ich alle Ihre Instruktionen befolgt. Ich habe die Tiere auf Pfahlkonstruktionen untergebracht, wie bei den Hawaiianern, direkt über dem Meer. Nie hat auch nur ein Schweinefuß das Heilige Land betreten und wird es auch in Zukunft nicht tun. Es sei denn, Sie erklären sich damit einverstanden, sie für die Jagd auf Terroristen zu verwenden. (Im Übrigen habe ich in der New York Times des letzten Monats einen Soldaten der israelischen Streitkräfte mit einem Schwein an der Leine gesehen und, ganz ehrlich, ich finde, das macht unseren Ruf als hartgesottene Kerle kaputt!) Ich bin ein Mann, der die Religion respektiert, auch wenn ich sie kaum praktiziere, und nie hatte ich die Absicht, Sie zu kränken.
Daher finde ich Ihren Brief ein wenig hart, und mich als „Hundesohn“ zu beschimpfen, wird nichts an der Tatsache ändern, dass sich die israelischen Juden weiterhin mit Bauchspeck vollstopfen und dass ich ihn ihnen weiterhin verkaufe, in einem einzigen Restaurant in Tel Aviv übrigens. Ich für meinen Teil esse so was nicht, das ist mir zu viel Fett für meinen auch so schon überhöhten Cholesterinspiegel, und ich versuche ja auch nur, über die Runden zu kommen. Wenn ich ihnen kein Schweinefleisch verkaufe, werden sie es sich bei einem Goi holen. Die Eier mit Speck stehen auf der Speisekarte, Sie werden nichts daran ändern können. Die Leute finden das schick, wie Poule au pot oder Froschschenkel…
Wie ging nochmal diese Geschichte mit Schweineblut, Herr Rabbi? Erinnern Sie sich noch an die glorreiche Idee, das in Beutel abgefüllte Blut in städtischen Bussen verteilt aufzuhängen, damit die Terroristen, die sich in die Luft sprengen möchten, damit besprenkelt und unrein würden, auf dass das Paradies mit seinen zweiundsiebzig Jungfrauen ihnen verwehrt werde?
Wenn Sie es für mich hinbekämen, einen Vertrag mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben an Land zu ziehen, müsste ich keinen Schweinespeck mehr verkaufen müssen.
Ich hätte gedacht, dass gerade Sie, mit Ihren politischen Ansichten, die sich von denen der anderen Rabbiner so wohltuend unterscheiden, und mit Ihrer geistigen Offenheit, Verständnis für mich hätten.
Kurzum, ich hätte Ihnen tausend Dinge zu sagen, die nichts mit Schweinezucht zu tun haben, aber ich weiß, wie beschäftigt Sie sind, daher werde ich Ihre Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen und möchte hiermit erneut meinem tiefsten Respekt Ausdruck verleihen,
Harry Rosenmerck
Rabbi Moshe Cattan an Harry Rosenmerck
Nazareth, 3. April 2009
Sehr geehrter Herr Rosenmerck,
entweder halten Sie mich für einen Idioten oder Sie sind selbst einer. Es könnte auch sein, dass beides zutrifft und Sie von einer der beiden Tatsachen gar nichts wissen. Können Sie mir folgen?
Ach, Herr Rosenmerck!
Kommen Sie doch mal bei mir vorbei. Wir werden uns über den Talmud unterhalten und ich bringe Ihnen den Glauben zurück, der anscheinend einer merkantilen, ultrakapitalistischen Gläubigkeit gewichen ist. Ich werde Ihnen Punkt für Punkt in aller Kürze antworten, denn das Pessachfest rückt näher und ich habe viel zu tun.
1. Wenn jeder so denken würde wie Sie, gäbe es keine Moral mehr. Kein Gut mehr, kein Böse. Die Möglichkeit, dass ein Anderer Speck an USAVIV, dieses Restaurant für Degenerierte, verkaufen würde, befreit Sie nicht von dieser Sünde. Wenn Sie in einem Raum sind, in dem sich ein vor Hunger sterbendes Kind befindet, in Gesellschaft von neun weiteren Menschen, und Sie essen sein letztes Stück Brot – dann können sie sich nicht damit rausreden, dass es sonst einer dieser Neun getan hätte: Sie waren es, SIE allein, der dieses Kind getötet hat.
2. Seit Langem schon glauben diese armen Palästinenser, die sich in Bussen voller Schulkinder in die Luft sprengen, an nichts mehr und noch weniger an Jungfrauen, die sie im Paradies erwarten würden. Sie bezahlen ganz einfach mit ihrem Leben die Versorgung ihrer Familien, dass sie ein anständiges Dach über dem Kopf haben und sich satt essen können. Sie können Ihr Schweineblut behalten. Besser wäre es, die Steine aus unserer Trennmauer herauszubrechen. Nicht, um sie uns gegenseitig an den Kopf zu werfen, sondern um den Menschen anständige Häuser zu bauen.
3. Wenn Israel Wert darauf legen würde, was die NY Times und die anderen so denken, hätte es sich schon herumgesprochen. Wir sind das meistgehasste Land auf der Welt, manchmal zu Recht, manchmal, weil es eben so ist. Wir wollen nicht um jeden Preis gefallen oder für etwas gehalten werden, was wir nicht sind. Die Schweine sind recht nützlich für die Armee. Sie haben einen außergewöhnlichen Geruchssinn, und die Palästinenser, die in der Öffentlichkeit von einem Schwein berührt worden sind, können nicht mehr geopfert werden. Wir pfeifen auf das Bild, das die Soldaten mit den Schweinen abgeben.
Ich erwarte Sie in der Jeschiwa, dann können wir weiterreden. Waschen Sie sich vorher, um Himmels willen.
Der Ihre,
Rabbi Moshe Cattan
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David Rosenmerck an Harry Rosenmerck
Rom, 1. April 2009
Papa,
ich höre nicht auf dir zu schreiben, auch wenn du schweigst. Um die Verbindung nicht abbrechen zu lassen. Um nicht eines Tages einem Fremden, der mein Vater wäre, gegenüberzustehen. Um dich nicht zu vergessen.
Bist du immer noch wütend auf mich? Wegen dieser kleinen Erklärung. Dieses kleinen Satzes, der meine Existenz verändert hat, aber doch nicht deine. Ja, ich liebe Männer. Im Übrigen sollte ich sagen, „einen“ Mann. Ich habe eine Liebesbeziehung, Papa. Willst du nicht den Mann kennenlernen, der deinen Sohn glücklich macht? Willst du nicht mit mir reden, mich lachen hören?
Es ist seltsam, je seltener ich dich sehe, desto ähnlicher werde ich dir. Ich suche dich in meinen Spiegeln. Ich habe deine Haare. Die Wärme deiner Hände auf meinen, sogar im tiefsten Winter. Ich ertappe mich dabei, Rollkragen zu tragen, die ich als Kind gehasst habe und die du ständig getragen hast, als wir noch in London gelebt haben. Seitdem ich mir den Bart wachsen lasse, ist auf meiner Wange die gleiche babyglatte Stelle wie bei dir zu sehen.
Ich lege ein Foto bei.
Ich hoffe, du bist mit dieser komischen Geschichte glücklich. Wenn man bedenkt, dass ich nie ein Haustier haben durfte! Nicht einmal einen Goldfisch, du wolltest es nicht. Und jetzt bist du auf einmal Viehzüchter. Hast du Angestellte? Wie viele Schweine hast du? Sag mir nicht, dass du dich selbst um sie kümmerst. Trägst du Gummistiefel und Latzhosen? Mama sagt, du hättest kein Telefon. Ich glaube ihr nicht. Ich würde mich sowieso nicht trauen anzurufen. Das Schweigen auf Papier tut weniger weh. Wir sind nun alle voneinander getrennt. Mama, Annabelle, du und ich. Ich bin ein Puzzleteil auf dem falschen Kontinent. Oder vielleicht bist du es?
David
Monique Duchêne an Harry Rosenmerck
Paris, 2. April 2009
Lieber Ex-Ehemann und trotz allem Vater meiner Kinder,
ich will mich kurz fassen und dabei möglichst präzise sein. Du bist ein unverbesserliches Arschloch. Dein Sohn hat dir Hunderte von Briefen geschrieben, und du hast nicht einen von ihnen beantwortet.
Wenn du nur sehen könntest, was für einen Erfolg er bei den Premieren seiner Stücke hat, die Menschen, die begeistert applaudieren. „Ein Autor mit Genie“, das titelte La Repubblica nach der Vorstellung in Rom letzte Woche. Und er? Glaubst du, er hätte auch nur gelächelt? Nein. Den ganzen Abend, wie jedes Mal, hat er zur Tür geschaut statt auf die Bühne. Und gehofft, dich eintreten zu sehen.
Schrei ihn an! Streitet miteinander! Alles wäre besser als dein verdammtes Schweigen!
Andererseits möchte ich mich bei dir bedanken: Seitdem du die Schweinezucht aufgemacht hast, bin ich bei allen Pariser Diners mit von der Partie. Mit dieser Geschichte mache ich richtig Furore. Ich bin jedoch nicht gänzlich davon überzeugt, dass dies dem Antisemitismus den Garaus macht! Schweine als Terroristen-Spürnasen. Ha, ha! Wenn ich bedenke, dass ich deinetwegen konvertiert bin, und nun so was!
Erinnerst du dich an unser erstes Diner bei Cochonek? Wie gräbt man eine Goi an?
Meine Geschäfte laufen gut. Ich habe neue spannende und gut dotierte Fälle. Dem Herrn sei Dank, bei dem mickrigen Unterhalt, den ich von dir bekomme…
Habe ich dir schon erzählt, dass die alte Ziege Marine Duriet wieder geheiratet hat? Einen Russen. Keinen Juden. Einfach nur einen Russen. Und sie hat sich liften lassen; wenn sie lächelt, macht es krack.
Hast du Neuigkeiten von Annabelle? Das klingt hübsch: „des nouvelles d’Annabelle“, das könnte auch der Titel eines von Davids Stücken sein. Mir erzählt sie ja nichts. Ich glaube, sie ist traurig. Sie kommt bald aus New York zurück. Und beendet dann vielleicht ihr verflixtes Studium! Mehr als zehn Jahre Studium! Nach dem MBA will sie auch noch den Doktor machen… Wozu soll das gut sein? Sie soll uns endlich ein paar Enkelkinder machen!
Schreib deinem Sohn, ja? Sein Freund ist wirklich nett, by the way. Und benutze ein Telefon!
Monique
Harry Rosenmerck an Monique Duchêne
Nazareth, 6. April 2009
Liebe Monique,
das nennst du kurz? Dein Brief ist zwei Seiten lang, und du nervst.
Harry
©Luchterhand Verlag©
Literaturangabe:
STHERS, AMANDA: Schweine züchten in Nazareth. Übersetzt aus dem Französischen von Karin Ehrhardt. Luchterhand Verlag, München 2011. 192 S., 13,99 €.
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