Von Esteban Engel
BERLIN (BLK) - Die Berliner Kulturbrauerei gehört zu den festen Adressen in der Hauptstadt. Kinos, Theater, Fitness-Studios und Diskotheken - mehr als eine Million Menschen strömen jedes Jahr auf das einstige Industriegelände im Szeneviertel Prenzlauer Berg. Im dritten Stock des ehemaligen Sudhauses hat Christoph Links sein Büro. Hier in der Gegend schlug vor zwanzig Jahren das Herz der friedlichen Revolution in der DDR und Links gehörte zu den Herzschrittmachern. Mit seinem 1989 gegründeten Verlag bot er den Reformern eine Plattform. Heute zählt der Ch. Links Verlag zu den erfolgreichen Unternehmen, die sich in die vereinte Republik retten konnten.
Dabei stand am Anfang eine Absage. Als Links im Juli 1989 beim DDR-Kulturministerium die Lizenz für einen unabhängigen Verlag beantragte, hieß es „Nein“. „Fehlende Druckkapazitäten“ und Papiermangel kam als Begründung zurück. Doch drei Wochen nach dem Mauerfall fiel die Zensur, Druckgenehmigungen wurden abgeschafft. Dem neuen Verlag stand nichts mehr im Weg. LinksDruck nannte der damals 35 Jahre alte Lektor beim Aufbau-Verlag zunächst sein Kleinstunternehmen, das er mit einem eingeschmuggelten PC betrieb.
Links hatte auch Glück. Anders als die großen DDR-Unternehmen geriet er als privater Neugründer nicht in das Visier der Treuhandanstalt. Undurchsichtige Verkäufe, Fusionen, Liquidierungen - die Vereinigung bedeutete für viele DDR-Verlage das Aus. Von den einst 78 Verlagshäusern mit Staatslizenz gibt es heute noch acht ohne zwischenzeitliche Insolvenz. Aber auch das Interesse an Büchern ließ im einstigen „Leseland“ DDR schnell nach. Heute bestimmen längst Fernsehen und Reisen die Freizeit der Menschen in den neuen Ländern, wie aus einer jüngsten Studie der Stiftung Lesen hervorgeht.
Plansoll mit Büchern
Die DDR als Land von Leseratten - das war mehr als nur ein Propagandaklischee im SED-Staat. Ein Netz von Buchhandlungen und Büchereien versorgte die Menschen mit Stoff. Von der Bewegung schreibender Arbeiter bis zur staatlichen Literaturpropaganda – auch mit Büchern sollte das Plansoll erfüllt werden. „Das Bücherlesen in einer geschlossen Gesellschaft hatte vor allem eine Ersatzfunktion“, sagt Links. Mit jährlich 6.500 Titeln produzierte die DDR in den 80er Jahren eine Gesamtauflage von 150 Millionen Exemplaren. Das waren zwar weniger Buchtitel als in der Bundesrepublik, dafür aber mehr Exemplare pro Kopf der Bevölkerung.
„Sobald die Menschen ihr Leben eigenständig gestalten, frei reisen konnten und die Zeitungen und Zeitschriften interessanter wurden, ließ das Buchverlangen schnell nach.“ Binnen weniger Jahre glich sich das Leseverhalten in Ost und West nahezu an. 1990 stand im Osten die Lektüre noch auf Platz drei der Freizeitbeschäftigungen, im Westen erst auf Platz neun. Zwar stieg nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels die Zahl der Buchhandlungen im Osten bis zum Jahr 2000 auf 1.100 Läden an - vor allem durch das Vordringen großer Handelsketten. Doch gleichzeitig ließ die Kaufkraft deutlich nach.
Zwischen „Anarchie“ und Ernüchterung
Das Verlagsprogramm liest sich wie die Geschichte der Vereinigung. „Am Ziel vorbei“ - so heißt eine von Links mit herausgegebene Bilanz der Wiedervereinigung. Auch der Verleger, der nach der Wende mit einem Praktikum bei Bertelsmann erste Einblicke in das Büchermachen im Kapitalismus bekam, erkannte schnell, dass es für Verlage auf Spezialisierung ankommt. „Von Anfang an haben wir auf Politik und Zeitgeschichte gesetzt.“
In Studien und populär-historischen Bänden beschäftigte sich der Verlag schon früh mit der Rolle der Staatssicherheit und den weißen Flecken der DDR-Geschichte und des Stalinismus. „Doch nach der Anfangseuphorie ließ die Begeisterung im Westen nach, mit dem Solidaritätszuschlag kippte die Stimmung. Wären wir bei diesen Themen geblieben, gäbe es den Verlag heute nicht mehr.“
Das Sachbuch war die einzige Überlebenschance. Nach einigen Fehlversuchen gelangen dem Verlag Auflagenerfolge. Junge Ost-Berliner Autoren wie Alexander Osang und Christoph Dieckmann spürten in Reportagen und Essays dem deutsch-deutschen Wandel nach. Bildbände über Historisches - von der deutschen Kolonialzeit bis zum Nationalsozialismus - bescherten Links und seinen heute acht Verlagskollegen Erfolg.
„Zukunft erfinden“ heißt ein neues Buch, das im Herbst erscheint und 30 kreative Projekte im Osten Deutschlands präsentiert. „Der Osten hat früher als der Westen Erfahrungen mit dem Untergang der Industrie gemacht“ sagt Links. „Das könnte sich in der Krise als ein großer Vorteil erweisen“.
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