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Rückblick: „20 Jahre Satanische Verse“

Auch das Todesurteil zeigte Langzeitwirkung

© Die Berliner Literaturkritik, 12.10.09

Von Thomas Pfaffe 

LONDON (BLK) - Ausgerechnet am Tag einer Trauerfeier erfuhr Salman Rushdie von seinem Todesurteil. Mit anderen Schriftstellern hatte sich der britisch-indische Autor der „Satanischen Verse“ 1989 zum Gedenken an einen Kollegen in London versammelt, als im fernen Teheran der iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini seine „Fatwa“ verkündete. Khomeini sah in dem Buch den Propheten Mohammed und den Koran verunglimpft. Jeder Muslim, der Rushdie sowie seine Verleger töte, sei ein Märtyrer und komme ins Paradies, versprach Khomeini. Rushdie tauchte sofort unter. Rund ein Jahrzehnt lebte er in ständiger Angst. Vor 20 Jahren, am 17. Oktober 1989, erschienen „Die Satanischen Verse“ in Deutschland.

Die deutschen Buchhandlungen waren damals verunsichert. Zwar war der greise Khomeini kurz nach seiner Fatwa gestorben, doch der Aufruf galt weiter. Bei der Frankfurter Buchmesse war das Werk kurz zuvor aus Sicherheitsgründen nicht gezeigt worden. Auf Rushdie war ein millionenschweres Kopfgeld ausgesetzt, Bilder von Demonstranten, die die britische Botschaft in Teheran mit Steinen bewarfen, waren noch ganz frisch. So hielten sich die Buchläden mit Werbung für das neue Buch in ihrem Sortiment damals deutlich zurück.

Der Protest in weiten Teilen der islamischen Welt gegen die „Satanischen Verse“ hatte sich schon kurz nach deren Publikation entzündet. In den Hauptepisoden geht es um indo-muslimische Einwanderer in England. Das Werk enthält aber auch lose mit der Handlung verwobene Fantasien, darunter die Darstellung der frühen Lebensjahre des Propheten Mohammed. Mit satirischem Unterton beschreibt Rushdie, wie Mohammed Abschnitte aus dem Koran wieder entfernt habe, da sie ihm angeblich vom Teufel eingegeben worden seien. Fundamentalisten sahen den Propheten und den Koran diffamiert.

Unmittelbar nach der Fatwa hatte sich der damals 41-jährige Rushdie zwar entschuldigt, doch Khomeini gab sich unbeeindruckt: „Selbst wenn Salman Rushdie bereut und der frömmste Mensch unserer Zeit werden sollte, ist es die Pflicht eines jeden Moslems, alles einzusetzen, sein Leben und seinen Besitz, um ihn in die Hölle zu schicken.“ Und der Aufforderung Khomeinis folgten Taten. Der japanische Übersetzer des Rushdie-Romans wurde erstochen, andere Verleger und Übersetzer wurden bei Anschlägen verletzt.

Und so blieb Rushdie im Untergrund. Wenn er irgendwo auftauchte, dann unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen oder als Überraschungsgast. Mitte der 90er Jahre häuften sich dann seine öffentlichen Auftritte wieder. Und als sich der Iran 1998 von der Fatwa distanzierte - der religiöse Spruch kann nicht ganz aufgehoben werden - normalisierte sich das Leben Rushdies einigermaßen.

Doch der Hass besteht fort. Als Rushdie kurz vor seinem 60. Geburtstag 2007 zum Ritter geschlagen worden war, ließ das iranischen Außenministerium vermelden: „Eine der meistgehassten Personen der islamischen Welt auszuzeichnen, zeigt Großbritanniens Feindschaft gegenüber dem Islam.“

Obwohl Rushdie in der Zwischenzeit viele andere Romane geschrieben hat, wird er wohl für immer mit den „Satanischen Versen“ identifiziert. Das Buch machte Rushdie zum Symbol für freie Meinungsäußerung. Heute möchte er nicht mehr dauernd darauf angesprochen werden. „Es ist, als wäre etwas weltberühmt, das ich nicht bin. Ich habe keine Lust mehr über den Iran und die Fatwa zu reden. Das ist ein alter Hut“, sagte er einmal. Allerdings habe er die Veröffentlichung nie bereut. Sonst hätte er sich vorgeworfen, die großen Fragen über Religion und Zivilisation nicht gestellt zu haben.

Dem Fall Rushdie folgten andere. Mehr als 150 Menschen starben bei Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen, die eine dänische Zeitung im September 2005 veröffentlicht hatte. Der niederländische Islamkritiker Theo van Gogh bezahlte 2004 einen Film über die Unterdrückung von Frauen im Islam mit dem Leben. Auch Papst Benedikt XVI. sorgte für Aufruhr in der islamischen Welt, als er indirekt Mohammed kritisierte.

Sein Ziel hat Khomeini letztlich erreicht, schrieb die britische Sonntagszeitung „The Observer“ einmal: „Wer würde es wagen, ein Buch wie die ‚Satanischen Verse’ heute zu schreiben? Und sollte ein mutiger oder waghalsiger Schriftsteller es wagen, wer würde es veröffentlichen?“.

Weblink:

www.rowohlt.de


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