HAMBURG (BLK) – Die Diskussion zwischen Marcel Reich-Ranicki und Thomas Gottschalk um die Qualität des deutschen Fernsehens hat am späten Freitagabend (17.Oktober 2008) 3,5 Millionen vor die TV-Schirme gelockt. Das entsprach nach ZDF-Angaben einer Quote von 14,4 Prozent. Reich-Ranicki (88) bekräftigte in der 30-minütigen ZDF-Sendung „Aus gegebenem Anlass“ ab 22.30 Uhr seine harsche Kritik: „Ich habe nichts zu bedauern. Ich nehme nichts zurück. Die Veranstaltung war abscheulich, scheußlich.“ Gottschalk hatte die Diskussion angeboten, als Reich-Ranicki bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis am 12. Oktober in einer zornigen Rede die Entgegennahme des Ehrenpreises abgelehnt hatte.
Zu den während der Gala präsentierten Sendungen sagte der Literaturkritiker: „Die waren nicht schwach oder schlecht, die waren blödsinnig, die waren verblödet. So was darf man nicht zeigen.“ Seine Abneigung gelte dem Großteil der deutschen TV-Landschaft: „Jawohl, das ist scheußlich, abscheulich.“ Gottschalk (58) wandte ein, Fernsehen sei eben ein Medium für alle und nicht nur für Feuilleton-Kritiker.
Es sei unklar, welche Aufgabe, welche Funktion das Fernsehen habe, kritisierte Reich-Ranicki nun erneut. „Ich hab' den Eindruck, die Intendanten wissen das am wenigsten. Sie haben keine Ahnung vom Fernsehen, die Intendanten.“ Verteidigen konnten sich die Senderchefs nicht. Anders als zunächst vorgesehen beteiligten sie sich nicht an der Sendung. Zur Versöhnung schlug der Moderator am Schluss des Gesprächs vor, dass Reich-Ranicki seinen Preis doch noch in Empfang nehmen sollte, wenn es Gottschalk irgendwann gelänge, mit bildendem Fernsehen eine gute Quote zu erreichen.
In einer Reaktion erklärte Gerhard Zeiler, Chef des Privatsenderkonzerns RTL Group, dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, Reich-Ranickis Kritik sei „einfach nicht relevant“. Mit ihm über das Programm zu streiten, sei sinnlos, da der Kritiker es ja gar nicht ansehe. „Die Frage ist, warum man unbedingt einem Literaturkritiker, und sei er noch so renommiert, einen Fernsehpreis verleiht.“ RTL- Chefin Anke Schäferkordt erklärte der „Bild“-Zeitung (Samstag, 18.Oktober 2008): „Zweifelsohne gibt es Sendungen, über die man diskutieren kann. Aber wenn jemand heute Abend in die Fernsehzeitschrift schaut und sagt, dass er nichts findet, ist das so, wie wenn Claudia Schiffer vor ihrem Kleiderschrank steht und sagt: Ich habe gar nichts zum Anziehen.“
Die Fernsehschelte des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranickis war am Freitagabend (17.Oktober 2008) auch Diskussionsthema bei der Verleihung des Hessischen Film- und Fernsehpreises. „Niveau ist, wo ich bin“, sagte der Schauspieler Wotan Wilke Möhring („Schluss mit lustig!“). Niveau habe viel mit der Auswahl von Rollen zu tun „und mit dem, was Schauspieler haben: Verantwortung - gegenüber dem Stoff und gegenüber dem Zuschauer“.
Sein Kollege Franz Dinda („Die Wolke“, „Küstenwache“) erklärte, beim Niveau des Fernsehens in Deutschland sei zwar „auf jeden Fall noch viel nach oben offen“, andererseits halte er das „einseitige Eindreschen aufs Fernsehen“ für übertrieben. „Es gibt vieles, was auf den ersten Blick als leichte Kost abgetan wird. Aber die Nachfrage scheint doch zu bestehen. Die Zeiten ändern sich eben.“ Es sei typisch für Ältere, dass sie dächten, alles werde miserabler.
Der Schauspieler Burghart Klaußner („Die fetten Jahre sind vorbei“) äußerte sich kritisch: «Im Großen und Ganzen kann das Niveau immer noch tiefer sinken, in der Hoffnung, „dass die Letzten hinterm Ofen vorgeholt werden.“ Zwar gebe es auch immer wieder gute Filme, aber generell werde eine „möglichst große Verflachung“ des Fernsehens vollzogen. Sein Kollege Matthias Brandt („Contergan“) erklärte, er habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, „dass es weiterhin möglich ist, gute Stoffe zu verwirklichen“. Er warnte davor, mit der jetzt angestoßenen Diskussion über das angeblich niedrige Niveau des Fernsehens „eine Eigendynamik herbeizureden“.
Der Moderator der ARD-Kultursendung „Titel Thesen Temperamente“, Dieter Moor, kommentierte die Diskussion humorvoll: „Reich-Ranicki glaubt, was im Fernsehen stattfindet, kann nicht Kultur sein. Ich halte es eher mit Andy Warhol: Alles, was Fernsehen ist, ist Kultur.“ Ganz auf einen Kommentar verzichtete Schauspielerin Monica Bleibtreu: „Ich mag so etwas nicht. Ich gebe nicht gerne kurze Statements“, sagte sie. (dpa/bah)
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